Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde

Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde

Titel: Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
Autoren: Leif GW Persson
Vom Netzwerk:
Löcher hat. Sie zeigt ihn mir.
    »Die Motte hat Mamas Pullover gefressen.«
    »Die Motte?«, frage ich und sehe fledermausähnliche Wesen mit langen, spitzen Eckzähnen vor mir.
    »Die Motte«, erwidert meine Mutter nickend. »Sie wohnt im Kleiderschrank.«
    Über zwanzig Jahre später laden meine erste Frau und ich meine Eltern zum Abendessen ein. Die Stimmung ist unerwartet gut, und meine Mutter erzählt meiner Frau, wie ich als Kind war. »Ein sehr lebhaftes Kind«, sagt meine Mutter, »am Schlimmsten war es abends. Er wollte einfach nicht schlafen, hüpfte im Bett rum und verlangte, dass ihm sein Vater Comics vorliest.«
    Dann erzählt meine Mutter, wie sie mir mit der Motte Angst eingejagt hat. Sie pflegte die Tür des Kleiderschranks einen Spalt weit offen stehen zu lassen und mir zu sagen, wenn ich nicht still in meinem Bett liegen bliebe, dann würde die Motte ins Zimmer fliegen und mich genauso auffressen, wie sie Mamas Pullover aufgefressen hätte. Sie erzählt das wie eine lustige Anekdote aus meiner Kindheit.
    »Margit ist nicht ganz bei Trost«, sagt meine Frau, sobald meine Eltern gegangen sind. »Ich hätte sie erwürgen können, als sie diese schreckliche Geschichte mit der Motte erzählt hat. Wie kann man ein kleines Kind nur so behandeln?«
    »Ich erinnere mich nicht«, erwidere ich mit einem Kopfschütteln. »Ich erinnere mich an die Motte und an Margits Pullover, aber von dem Rest wusste ich nichts. Dass sie die Tür einen Spalt aufgelassen haben soll.«
    Genau so ist es auch. Für mich ist das, was ich zu meiner Frau sage, vollkommen wahr. Die Motte, der Pullover, die Löcher darin, Mama, die den Pullover hochhebt und ihn mir zeigt. Daran erinnere ich mich. Hingegen nicht daran, dass sie die Kleiderschranktür geöffnet hat, damit ich still liege und nicht im Bett herumturne.
    Meist las mir mein Vater etwas vor, wenn ich einschlafen sollte. Für gewöhnlich aus Comicheften wie »Das Phantom« und »Donald Duck«. Ich beklage mich nicht über seine Wahl der Gutenachtlektüre. Durch die Kombination von Bild und Wort kann man der Geschichte leichter folgen. Möglicherweise habe ich ja so lesen gelernt.
    Der erste Film, den ich im Kino sehe, ist auch ein Zeichentrickfilm von Walt Disney. Donald Duck und seine Freunde und übrigen Bekannten, angefangen mit Micky Maus über Goofy bis hin zu Ede Wolf und den drei kleinen Schweinchen. Nur Papa und ich, genauso erinnere ich mich daran.
    Es ist nicht so, wie wenn Papa neben meinem Bett sitzt und mir vorliest. Plötzlich ist alles auf eine Art greifbar, die mir wahnsinnige Angst macht. Wenn mir Papa vorliest, dass Donald wütend auf Tick, Trick und Track wird, lache ich, dass ich einen Schluckauf bekomme, aber nicht, wenn er auf der Leinwand in die Luft geht und schreit, als wäre er wirklich verrückt geworden. Aber Papa hat keine Angst. Er lacht laut, und vorher hat er mir schließlich erklärt, ich solle die Augen schließen und mir die Ohren zuhalten, wenn es zu schlimm würde.
    Aber dann fängt Ede Wolf an, die drei kleinen Schweinchen zu jagen, weil er sie auffressen will, und ich sehe nur noch seine scharfen weißen Zähne und wie ihm das Wasser im Mund zusammenläuft. Ich weine und schreie laut, genauso laut wie die drei kleinen Schweinchen, bis Papa mich hochhebt und wir das Kino verlassen.
    »Das war doch nur gespielt«, sagt Papa, als wir im Auto sitzen und nach Hause fahren. Er tätschelt mir tröstend das Knie. »Wenn du mir versprichst, nicht mehr zu weinen, dann kaufe ich dir eine Bockwurst.«
    Ich höre auf zu schniefen, und alles ist wie immer. Ich erinnere mich, dass ich vorne neben Papa sitze. Das tue ich immer, wenn nur er und ich im Auto sind. Manchmal darf ich auch auf seinem Schoß sitzen und ihm beim Lenken und Schalten helfen, während er die Pedale bedient.
    Die Geborgenheit, die ich empfinde, wenn er und ich allein sind, beschützt mich die nächsten zehn Jahre. Die meisten Jahre, die meine Kindheit ausmachen. Dann wird sie mir im Laufe einer Stunde genommen. Ihm auch, ohne dass wir beide etwas dagegen tun könnten. Ich komme darauf später zu sprechen, jetzt nicht.

4.

Porträt des Autors im Alter von drei Jahren
    Viele meiner psychologisch orientierten Kollegen auf dem Gebiet, das viel später mein Beruf sein wird, würden sicher behaupten, der Grund dafür, dass ich bis zu meinem fünften Geburtstag keine Erinnerungen besitze, seien die Misshandlungen meiner Mutter, die ich schon früh verdrängt hätte.
    Ich selbst bin davon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher