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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau
Autoren: R. Scott Bakker
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auf gebahnten Wegen besser vorankommt!«, hatte der Marschall ausgerufen.
    Inmitten knarrender Wagen trottete Achamian mit seinem Maultier die Straße entlang. Seit der Heilige Krieg sich in Marsch gesetzt hatte, zog der Hexenmeister lieber mit dem Tross. Während die in Reih und Glied marschierenden Soldaten an mobile Kasernen denken ließen, gemahnte der Tross an mobile Scheunen. Der Geruch von Vieh erinnerte an den Gestank nasser Hunde, ungefettete Achsen ächzten und quietschten, ungeschickte Männer fluchten leise vor sich hin, und ab und an knallte eine Peitsche.
    Er musterte seine Füße – der Saft des heruntergetrampelten Grases hatte seine Zehen grün gefärbt. Erstmals fragte er sich, warum er mit dem Tross zog. Seswatha war stets zur Rechten von Königen, Prinzen und Generälen geritten. Warum also tat er es ihm nicht nach? Obschon Proyas weiter einen gleichgültigen Eindruck machte, würde er Achamians Gesellschaft sicher akzeptieren – wenn auch vielleicht nur Xinemus zuliebe. Welcher Schüler wünschte sich in unsicheren Zeiten nicht heimlich die Nähe seines Lehrers?
    Warum also zog er mit dem Tross? Aus Gewohnheit? Schließlich war er ein alternder Kundschafter, und unter demütigenden Umständen war Demut die beste Tarnung. Oder aus Nostalgie? Denn irgendwie erinnerte ihn seine Art des Marschierens daran, wie er seinem Vater als Kind schlaftrunken zu den Booten gefolgt war, wenn der Sand noch kalt und das Meer noch dunkel war. Stets hatte er den gleichen Blick nach Osten geworfen, dorthin also, wo das kalte Grau des Morgens eine schindende Tageshitze ankündigte. Und immer hatte er sich mit einem schweren Seufzer ins Unvermeidliche geschickt, in die rituelle Plackerei, die Männer Arbeit zu nennen pflegen.
    Aber welchen Trost konnten ihm diese Erinnerungen bieten? Stumpfsinniges Schuften besänftigte nicht – es betäubte bloß.
    Dann begriff Achamian, dass er nicht aus Gewohnheit oder Nostalgie mit dem Tross marschierte, sondern aus Abneigung.
    Ich verstecke mich. Vor ihm…
    Vor Anasûrimbor Kellhus.
    Achamian wurde langsamer und zerrte sein Maultier von der Straße auf die Wiesen. Das taufeuchte Gras ließ seine Füße schmerzen. Die Wagen zogen in endloser Reihe vorbei.
    Ich verstecke mich…
    Immer öfter ertappte er sich dabei, aus wenig schmeichelhaften Beweggründen zu handeln. So zog er sich nicht etwa deshalb früh zurück, weil die Tagesmärsche ihn (wie er sich eingeredet hatte) erschöpften, sondern weil er die prüfenden Blicke von Xinemus, Kellhus und den anderen fürchtete. Und so starrte er Serwë nicht deshalb an, weil sie ihn (wie er sich eingeredet hatte) an Esmi erinnerte, sondern weil die Art und Weise, wie sie Kellhus ansah (so nämlich, als wisse sie etwas), ihn beunruhigte.
    Und nun das.
    Werde ich etwa langsam verrückt?
    Mehrmals hatte er sich dabei erwischt, ohne ersichtlichen Grund loszukichern, mehrmals hatte er sich gedankenverloren über die Wange gestrichen und so erst festgestellt, dass er geweint hatte. Stets hatte er dann, um sich zu beruhigen, in sich hineingemurmelt, kaum etwas sei normaler, als sich mitunter wie einem Fremden zu begegnen. Was hätte er sonst auch tun sollen? Die Rathgeber aufs Neue entdeckt zu haben, war sicher Grund genug, den Boden unter den Füßen zu verlieren und verrückt zu werden. Aber darüber hinaus auch noch zu ahnen, ja zu wissen, dass die Zweite Apokalypse begann! Und mit diesem Wissen allein zu sein!
    Wie sollte jemand wie er so eine Last tragen?
    Die Lösung bestand natürlich darin, die Bürde zu teilen und den Mandati über Kellhus zu berichten.
    Früher hatte Achamian bloß befürchtet, dass der Dûnyain die Wiederauferstehung des Nicht-Gottes verhieß. Er hatte Kellhus in seinen Berichten unterschlagen, weil ihm klar war, was Nautzera und die anderen mit ihm anstellen würden. Sie würden ihn sich schnappen und wie Schakale an ihm nagen, bis er zerbrach.
    Aber durch den Vorfall unter den Andiamin-Höhen hatten die Dinge sich verändert – unwiderruflich.
    Viele Jahre lang waren die Rathgeber kaum mehr gewesen als eine leere, wenn auch bedrückende Behauptung. Wie hatte Inrau sie genannt? Eine Sünde aus Vorväterzeiten… Nun aber waren sie real wie eine Messerklinge. Und Achamian fürchtete nicht länger, dass Kellhus die Apokalypse verhieß: Er wusste es.
    Und das war viel schlimmer.
    Warum also sollte er ihn den Mandati länger verheimlichen? Ein Anasûrimbor war zurückgekehrt. Die Prophezeiung des Celmomas hatte sich
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