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Der Preis der Ewigkeit

Der Preis der Ewigkeit

Titel: Der Preis der Ewigkeit
Autoren: Aimée Carter
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Handflächen. Wenn sie anfingen zu bluten, würde das vielleicht ein wenig die Wut besänftigen, die sich mit Zähnen und Klauen einen Weg aus mir hinauszubahnen versuchte. „Du wusstest, was ich nach Moms Diagnose durchstehen musste, aber es hat dich einfach nicht interessiert.“
    Walter atmete tief durch. „Ich habe viele sterbliche Kinder“, setzte er schließlich langsam an, als wöge er jedes Wort sorgsam ab. „Es gab keine Garantie dafür, dass du die Prüfungen bestehen würdest, und ich wollte nicht das Risiko eingehen, eine Beziehung zu dir aufzubauen, falls du es nicht schaffen würdest.“
    „Warum? Weil du Angst hattest, dass dein kostbares Geheimnis auffliegt?“
    „Weil ich nach allem, was deine Mutter mir von dir erzählt hatte, genau wusste, wenn ich zu dir käme, würde ich dich augenblicklich ins Herz schließen. Es ist schmerzhaft genug, Kinder zu verlieren, die ich nie kennengelernt habe. Aber eines zu verlieren, das ich liebe …“ Sachte strich er über eine Kante des Glassargs.
    Meine Schultern bebten unter stummen Schluchzern. „Ich hätte dich gebraucht. Ich hätte jemanden gebraucht, der mir sagt, dass alles gut wird. Ich hätte die Gewissheit gebraucht, dass ich nicht allein bin – und du konntest dich nicht dazu herablassen, weil du zu selbstsüchtig und ängstlich warst, mich zu lieben?“
    „Der Rat hat von Anfang an über dich gewacht, hat immer eine Rolle in deinem Leben übernommen. Hat dich beschützt und dich geliebt, genau wie wir es in Eden getan haben. Du warst niemals allein, Kate, nicht einmal in deinen dunkelsten Stunden.“
    „Aber ich habe es nicht gewusst “, brach es aus mir heraus. „Es macht keinen Unterschied, weil ich es nie wusste.“
    „Es tut mir leid.“ Seine Stimme brach. „Es tut mir leid, dass ich dir nie der Vater war, den du gebraucht hättest. Es tut mir leid, dass ich nicht der König bin, den meine Untertanen verdienen. Und es tut mir so unendlich leid, dass ich zugelassen habe, dass meine Tochter das größte Opfer von allen bringt. Ich erwarte weder von dir noch von irgendwem sonst auf der Welt, mir zu verzeihen, jetzt, da sie fort ist. Aber ich hoffe um ihretwillen, dass du mir eines Tages erlauben wirst, Teil deiner Familie zu sein. Dein Vater zu sein, wie ich es hätte sein sollen, als du aufgewachsen bist. Denn das hätte Ava sich für uns beide gewünscht.“
    Am liebsten hätte ich ihm ins Gesicht gespuckt, ihm gesagt, er könnte mich mal kreuzweise und sollte sich eine andere Tochter suchen, die bereit war, einen derart manipulativen Scheißkerl zu lieben. Doch die Wahrheit in seinen Worten lähmte mich. Er hatte recht. Genau das hätte Ava gewollt. Nicht weil ich einen Vater brauchte, sondern weil Walter eine Tochter brauchte, die ihn trotz seiner Fehler liebte, die ihn verstand und ihm eine Chance gab. Ich hatte mein Bestes getan, jedem Einzelnen, selbst Kronos und Calliope, dieses Mitgefühl und Verständnis entgegenzubringen. Ava hätte gewollt, dass ich dasselbe auch für Walter täte. Dass ich ihn nicht so im Stich ließ, wie ich sie im Stich gelassen hatte.
    „Ich fürchte, du verlangst mehr, als ich dir geben kann“, entgegnete ich leise, während mich jeglicher Kampfgeist verließ. Noch einmal fixierte ich das Abbild von Avas Gesicht. „Du hast mich schlimmer verletzt als jemals jemand zuvor. Selbst Calliope.“
    Er räusperte sich und legte mir vorsichtig eine Hand auf die Schulter. „Ich weiß. Und ich werde die gesamte Ewigkeit über tun, was ich kann, um es wiedergutzumachen. Viel kann ich dir nicht versprechen, aber ich schwöre dir, dass ich immer für dich da sein werde – wir alle werden immer für dich da sein. Wie es von Anfang an hätte sein sollen.“
    Mit aufeinandergepressten Lippen nickte ich. Nach all dem Schmerz, den er über die Welt gebracht hatte, konnte ich ihm nicht von jetzt auf gleich vergeben, aber eines Tages würde ich es versuchen. Für Ava.
    Drei Tage lang blieb der Glassarg im Thronsaal stehen und in all der Zeit war Avas Abbild niemals allein. Zuerst kamen nur die Ratsmitglieder, um sie ein letztes Mal zu sehen. Sie alle wollten allein mit ihr sein. Nachdem jeder seine Gelegenheit bekommen hatte, öffnete Walter das Portal von der Erde auf den Olymp, damit andere ohne unsere Hilfe hinaufkommen konnten.
    Als die Stunden vergingen und sich die Nachricht von ihrem Tod verbreitete, erschienen Götter in dem Thronsaal, die ich nie zuvor gesehen hatte, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.
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