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Der Pfeil der Rache

Der Pfeil der Rache

Titel: Der Pfeil der Rache
Autoren: C.J. Sansom
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inständig, jener Offizier mit den harten Zügen möge Barak vergessen.
    Ich ritt weiter, gelangte auf die breite Cheapside, die von Werkstätten, öffentlichen Gebäuden und den Wohnhäusern wohlhabender Kaufleute gesäumt war. Es war Sonntag, und normalerweise wäre der Markt geschlossen, aber der König hatte Weisung gegeben, ihn in Notzeiten auch an Feiertagen offen zu lassen, vermutlich um die neuen Münzen möglichst schnell unter die Leute zu bringen. Ein Prediger – mit langem grauen Bart, wie es bei den Bibeltreuen neuerdings Brauch geworden war – stand auf den Stufen zum Cheapside-Kreuz und deklamierte mit lauter Stimme: »Gott ist mit uns, denn die Franzosen und Schotten sind nichts als Papistenknechte im Krieg des Teufels gegen den wahren Glauben!« Vermutlich ein Radikaler, der ohne Genehmigung predigte. Noch vor zwei Jahren hätte man seinesgleichen ergreifen lassen und in den Kerker geworfen; jetzt aber wurden sie, um ihrer leidenschaftlichen Kriegshetze wegen, sogar ermutigt. Stadtkonstabler in roten Uniformen, Stöcke über der Schulter, patrouillierten in den Gassen. Die jüngeren waren bereits in den Krieg gezogen, nur die älteren waren noch übrig. Diese Greise spähten unentwegt in die Menge, als könnten ihre Triefaugen jederzeit einen französischen oder schottischen Spitzel dabei ertappen, wie er – ja was denn, das feilgebotene Grünzeug vergiftete? Es gab ohnedies erschreckend wenig zu kaufen, da ein Großteil, wie Barak erzählt hatte, für die Armee requiriert worden und die Ernte im Vorjahr mager ausgefallen war. An einem der Stände lagen Früchte aus, die entfernt an Schafskötel erinnerten, sich dann bei näherer Betrachtung jedoch als Pflaumen entpuppten. Seit der König die Freibeuterei gegen Franzosen und Schotten erlaubt hatte, gab es auf unseren Märkten allerlei Kuriositäten zu bestaunen. Ich entsann mich des allgemeinen Freudentaumels im Frühjahr, als der Seeräuber Robert Renegar auf einem spanischen Schiff, welches mit Gold aus dem fernen Indien vollbeladen gewesen, die Themse heraufgesegelt war. Ungeachtet der wütenden Spanier feierte man ihn bei Hofe wie einen Helden.
    Ein zorniger Unterton, der sich von dem üblichen Gezänk unterschied, schwang in dem Gefeilsche, welches ringsum auf dem Marktplatz im Gange war. Vor einem Gemüsestand hielt ein feistes, rotwangiges Weib dem Händler einen Testoon unter die Nase, und die weißen Flügel ihrer Haube bebten vor Zorn.
    »Das da ist ein Shilling!«, rief sie. »Da, der Kopf Seiner Majestät!«
    Der Händler stützte sich mit beiden Armen auf die Auslage und beugte sich verdrossen zu ihr vor. »Euer Testoon besteht doch fast zur Hälfte nur aus Kupfer! Sein Wert beträgt, wenn’s hoch kommt, acht alte Pence! Das ist doch nicht meine Schuld! Ich habe das Gelümp nicht geprägt!«
    »Mit dem Gelümp, wie du es nennst, verdient mein Gemahl unser Brot! Und du verlangst einen Penny pro Sack für dein schäbiges Geraffel!« Sie hob einen kleinen Kohlkopf auf und wedelte ihm damit vor der Nase herum.
    »Der Sturm hat die Ernte verhagelt! Das wisst Ihr genau! Was beklagt Ihr Euch bei mir!« Mittlerweile brüllte auch der Gemüsehändler, sehr zur Freude einiger zerlumpter Bengel, die sich nebst einem mageren Köter eingefunden hatten, der die Bande verbellte. Die Frau warf den Kohl in die Kiste zurück. »Ich finde anderswo bessere Ware!«
    »Aber bestimmt nicht für Euren wertlosen Kümmerling!«
    »Es sind doch immer die Ärmsten, die das Nachsehen haben«, jammerte sie. »Wohlfeil ist nur die Arbeit unserer Hände!« Sie wandte sich ab, und ich sah Tränen in ihren Augen. Der Hund folgte ihr, sprang ihr bellend um den schäbigen Rock. Unmittelbar vor meinem Pferd fuhr sie herum und versetzte ihm einen Tritt, dass Genesis erschrocken zurückwich. »So gebt doch Acht, Weib!«, rief ich aus.
    »Federfuchser!«, versetzte sie. »Buckliger Blutsauger, der Ihr seid! Ihr habt gewiss keine hungrigen Mäuler zu stopfen! Der Teufel soll Euch holen, und den König gleich dazu!« Im selben Moment wurde ihr bewusst, was sie gesagt hatte, und sie blickte ängstlich um sich, doch es waren keine Konstabler in der Nähe. Also ging sie davon, wobei die leere Tasche ihr bei jedem Schritt gegen den Rock schlug.
    »Ruhig, mein Braver«, sagte ich zu Genesis. Ich seufzte. Eine Schmähung meiner Gestalt traf mich nach all den Jahren noch immer wie ein Dolchstich in die Eingeweide, aber gleichzeitig war ich auch dankbar: Obschon ich wie andere
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