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Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)

Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)

Titel: Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Autoren: Antoine Rouaud
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misstrauischem Blick ging der Nâaga langsam durch den Schankraum. Die meisten Gäste waren Kaufleute aus den kleinen Siedlungen des Westens, die nach Masalia gekommen waren, um hier Handel zu treiben, doch es gab auch Reisende ganz anderen Schlags. Als der Nâaga endlich Viola entdeckte, die sich ihren Weg durch die Zecher bahnte, ohne auf ihn zu warten, stieß er ein finsteres Knurren aus. Er kannte Orte wie diesen nur allzu gut. An jedem Tisch konnte sich ein Räuber verbergen, und ein einziger missverstandener Blick mochte Gefahr heraufbeschwören.
    Als er Viola erreichte, stand sie bereits am Tresen und reichte einem rundgesichtigen Mann einen zerknitterten Zettel. Der Wirt strich das Papier auf dem Tresen glatt, las es, wischte sich den Schweiß von der kahlen Stirn und grinste Viola an, wobei er alle drei ihm verbliebenen Zähne zeigte.
    »Dun?«, überlegte er laut. »Dun? Aber ja. Man spricht es Dön aus. Einer aus dem Westen, ja, genau. Erst habe ich es nicht richtig verstanden, aber das ist der Grund. Man schreibt Dun, aber man sagt Dön. Ganz typisch für die Leute aus dem Westen. Sie sind eben nicht wie wir.«
    »Dieser Dun – ist er hier?«, fragte Viola.
    Der Wirt hob die Augenbrauen und musterte die junge Frau und den Nâaga, der sich zu ihrer Rechten auf die Theke stützte. Das finstere Gesicht, über dessen glatte Haut schwarze Schlangen zu tanzen schienen, verursachten ihm Unbehagen. Der Mann gefiel ihm nicht, aber was nützte es ihm, neue Kunden zu vergraulen oder einen Streit vom Zaun zu brechen? Nervös strich er sich über seine wenigen grauen Haare. Die Frau hatte ihre Kapuze nicht abgelegt, und der obere Teil ihres Gesichts verbarg sich im Schatten. Nur ein schwacher Lichtschein spiegelte sich in ihren Brillengläsern.
    »Wer seid Ihr überhaupt?«, brummte der Wirt und warf einen unsicheren Blick auf den Stiel der Waffe, die hinter dem Rücken des Riesen hervorragte. Ein Morgenstern. »Ich will keinen Ärger bekommen.«
    »Das ist auch nicht unsere Absicht«, versicherte ihm Viola. »Rogant ist mein Beschützer«, fuhr sie fort, streifte ihre Kapuze ab und lächelte leicht.
    Beim Anblick ihres fein gezeichneten Gesichts zerschmolz das Misstrauen des Wirts. Hinter den kleinen, runden Brillengläsern strahlten tiefgrüne Mandelaugen. Ihre milchweiße Haut war über den Wangen mit Sommersprossen gesprenkelt, und die rote Haarpracht hatte sie zu einem Knoten gebändigt, aus dem sich ein paar widerspenstige Löckchen herauskringelten.
    »Ihr werdet sicher verstehen, dass ich ohne ihn in diesem Viertel hier wahrscheinlich Probleme bekäme.«
    Sie war wunderschön und höchstens zwanzig Jahre alt. Eine leichte Beute für das üble Gelichter, das in den düsteren Gassen sein Unwesen trieb. Der Saum ihres Umhangs war mit Gold bestickt. Wenn sie nicht den Säuberungsaktionen nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs entkommen war, musste sie der Kaste der republikanischen Emporkömmlinge angehören.
    »Dun ist nur ein alter Mann«, erklärte der Wirt und wischte sich die feuchten Hände an einem schmutzigen Geschirrtuch ab. »Er ist ein bisschen verrückt, hat aber noch nie jemandem etwas zuleide getan.«
    »Ich sagte doch bereits, dass wir Euch keine Probleme bereiten werden.«
    »Nach allem, was er erzählt, war er einmal Soldat. Aber er ist nicht gefährlich.«
    »Ich möchte nur mit ihm reden«, sagte Viola betont sanft.
    »Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Vorfall vor fünf Jahren, als jemand auch nur mit einem Mann vom Schlage Duns ›reden‹ wollte«, entgegnete der Wirt mit hartem Blick. »Und wisst Ihr, was passiert ist? Am nächsten Tag fand man ihn erhängt auf einem öffentlichen Platz, und die Menschenmenge klatschte Beifall.«
    »Die Zeit der Säuberungen ist längst vorbei«, erklärte die junge Frau peinlich berührt.
    Der Blick des Wirts streifte den des Nâaga. Nichts in seinen schwarzen Augen ließ auf eine böse Absicht schließen.
    »Nun gut«, murmelte er.
    Erneut wischte er sich über die Stirn, als wollte er Zeit gewinnen, und versuchte, die Folgen einer möglichen Denunziation zu ermessen. Als überlegte er, ob eine Lüge nicht sinnvoller wäre. Schließlich hob er mit bedrückter Miene den Kopf. Den letzten Ausweg hatte er sich selbst verbaut, indem er die Vergangenheit des alten Mannes erwähnt hatte.
    »Ihr kommt so sicher aus Emeris, dass ich meinen Hals darauf wetten würde.«
    »Niemandes Hals ist in Gefahr«, versicherte ihm Viola mit einem seltsamen Lächeln.
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