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Der Pathologe

Der Pathologe

Titel: Der Pathologe
Autoren: Jonathan Kellerman
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überraschen. Mein Chef hat mir
befohlen
, ihn zu überraschen.«
    Der junge Mann lächelte nervös.
    »Ich bin im Nu wieder draußen, Kelvin. Dr. Graves wird es zu schätzen wissen – wie gesagt, er hat viel Sinn für Humor.«
    Jeremy befingerte seinen Ausweis in der Hoffnung, die Aufmerksamkeit Kelvins auf dieses Symbol der Autorität zu lenken.
    »Klar«, sagte der junge Mann. »Kein Problem.«
    Ein Lastenaufzug im hinteren Bereich – eine schmucklose, klirrende Stahlkiste mit einer Ziehharmonikatür – brachte ihn hinunter in das Kellergeschoss C.
    Zwei Stockwerke unter der Tiefgarage. Er hatte ein Verlies erwartet, aber er trat in einen hell erleuchteten Raum. Zwei Flügel mit Lagereinheiten säumten einen rauen Steinfußboden. Die Wände waren ebenfalls aus Stein und offenbar von Hand behauen. Jede Einheit war nummeriert. Schwarze Eisenziffern, die auf massive, in einem früheren Jahrhundert gefertigte Eichentüren geschraubt waren. Deckenlampen in Bronzekäfigen spendeten das Licht. Elektroleitungen und Leitungsrohre säumten die gewölbte Decke.
    Die Bogen und der Stein erinnerten Jeremy an etwas – an eine Karte, die Arthur ihm geschickt hatte. Der Basar in der Altstadt von Damaskus. Hatte Arthur so viel vorhersehen können?
    Jener Schauplatz ließ auf geschäftiges Treiben schließen. Hier unten war alles still.
    Keine Fenster, kein Tageslicht.
    Kühl und feucht. Jeremy rechnete halb damit, eine Fledermaus vorbeirauschen zu sehen.
    Kein Zeichen von Leben, keine Ratte, kein Insekt. Keine einzige Spinnwebe, und als seine Finger über die Steinwand strichen, blieb kein Staub an ihnen hängen. Sogar der Fußboden war sauber – makellos gefegt.
    Vier-Sterne-Höhle, der Stolz der Halbwelt.
    Augusto Graves’ Einheit war am Ende des linken Flügels. Die letzte Tür auf der rechten Seite.
    Jeremy blieb stehen, legte ein Ohr an die Tür. Hörte nichts.
    Der schwere Eisenschlüssel, für den er Kelvin Burnside zwanzig Dollar gegeben hatte (»Oh, das ist nicht nötig, Sir«), ruhte in seiner Hand.
    Er steckte ihn in das Schloss, drehte langsam und schob die Tür einen Zentimeter auf, wartete auf ein Knarren.
    Stille. Er berührte das Schloss, fühlte Fett. Im Tivoli Arms blieb nichts dem Zufall überlassen. Oder Dr. Graves hatte spezielle Vorkehrungen getroffen.
    Er schob die Tür noch etwas weiter auf. Musste sich ein bisschen anstrengen – das Eichenholz war dick und hart wie Stein. Fünfzehn Zentimeter. Dreißig. Genug Platz, um hindurchzuschlüpfen.
    Zuerst dachte er, er hätte doch einen Fehler gemacht.
    Kein Licht im Innern. Niemand da.
    Dann hörte er die Geräusche. Ein Summen. Das
Klick-klick
von Metall auf Metall. Ein leises Brummen wie von einer sehr großen Hummel.
    Da war Licht. Ein trapezförmiger Fleck auf der linken Seite, der die Wand in einem spitzen Winkel traf.
    Er trat einen Schritt vor und sah, warum. Es wurde abgelenkt. Eine L-förmige Rigips-Trennwand war vor der Tür eingezogen worden, wodurch ein kleiner Vorraum entstand.
    Er schob sich an der Wand vorbei.
    Stand da, von Licht überströmt. Mehr Licht, als er erwartet hatte, heiß und weiß und durchdringend. Drei Halogenleuchten, die in eine Stromleitung an der Decke eingebaut waren. OP-Beleuchtung.
    Eine Zelle, drei mal drei Meter, Wände, Boden und Decke aus dem gleichen behauenen Stein. Mitten im Herzen der Stadt.
    Augusto Graves stand in grüner OP-Kleidung am gegenüberliegenden Ende des Tisches. Sein Kopf war bedeckt, aber er trug keine Gesichtsmaske. Kopfhörer von einem Walkman übertrugen etwas in seinen Kopf.
    Musik, so wie es aussah. Graves wiegte sich im Takt. Ein synkopischer Rhythmus.
    Ein fröhlicher Rhythmus. Graves lächelte leicht, die Enden seines Schnurrbarts zogen sich nach oben wie die Flügel eines Schmetterlings.
    Erinnerungen an Brasilien?
    Ein nett aussehender Mann. Harmlos. Wie ein Gelehrter – eine Lesebrille saß unten auf seiner Nase. Er sah Jeremy nicht. Er war zu sehr damit beschäftigt, sich auf die vor ihm auf einem Tisch ausgestreckte Frau zu konzentrieren.
    Kein Operationstisch, nur eine breite Türplatte, die auf drei Sägeböcken ruhte. Die Platte war in weißes Plastiktuch eingeschlagen. Zur Rechten von Graves lag ein Stahltablett mit glänzenden Instrumenten auf einem mit Rollen versehenen Ständer. Neben dem Tablett befand sich auf einem ähnlichen Ständer ein Stahlkasten, der nicht einzusehen war. Ein Elektrokabel lief über den Deckel des Kastens und endete in einer Steckdose an der Wand. In
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