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Der Pakt

Der Pakt

Titel: Der Pakt
Autoren: Philip Kerr
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Himmler, der von all dem aufrichtig überrascht schien.
    »Willard Mayer war Offizier des amerikanischen OSS und 553

    fungierte bei der Konferenz als Roosevelts Deutschdolmetscher.
    Er war außerdem ein recht bekannter Philosoph und hatte vor dem Krieg in Wien studiert. Und ich glaube, auch in Berlin. Ich habe in eines seiner Bücher geschaut. Es wirkt ziemlich tief schürfend.«
    »Willard Mayer war auch der Jude, der dem Führer das Leben gerettet hat«, sagte Himmler.
    »Scheint ja ein ganz schöner Held gewesen zu sein«, sagte Schellenberg. »Retter des Führers und dann auch noch der Großen Drei. Bisschen mehr, als man von einem durchschnittlichen Philosophen erwartet, oder?«
    »Glauben Sie wirklich, diese Bombe hätte sie getötet?«
    »Allen Informationen zufolge war es eine gewaltige Detonation. Von dem Amerikaner wurde nichts mehr gefunden.«
    »Sein Tod bedeutet natürlich einen Zeugen weniger für das, was dort wirklich geschehen ist«, sagte Himmler. »Insofern zumindest haben Ihre Leute Glück gehabt. Fast so viel Glück wie Sie, Schellenberg.«
    Schellenberg nahm den Rüffel mit leicht gesenktem Kopf an.
    Er wartete.
    »Na, los«, drängte Himmler. »Machen Sie weiter.«
    »Jawohl, Herr Reichsführer. Ich wollte nur bemerken, dass seitens der Amerikaner das Umschreiben der Geschichte bereits begonnen hat. Wenn man die britischen und amerikanischen Zeitungen liest, kann man sich nicht vorstellen, dass der Führer je dort war. Wirklich erstaunlich. Als ob das alles nie gewesen wäre.«
    »Nicht ganz«, sagte Himmler.
    Schellenberg wappnete sich. Jetzt kam es. Himmler würde ihn doch noch degradieren.
    »Dieser Judenfreund Roosevelt muss jetzt die Konsequenzen 554

    dafür tragen, dass er sich nicht auf die Bedingungen des Führers eingelassen hat.«
    Schellenberg grinste erleichtert und amüsiert. Wie es schien, würde er seinen Posten doch behalten. Und offenbar waren nicht nur die Alliierten eifrig dabei, die Geschichte umzuschreiben.
    Als Himmler ihm das erste Mal von der geheimen Reise des Führers nach Teheran erzählt hatte, hatte er noch erklärt, Hitler sei vorzeitig abgereist, weil sich herausgestellt habe, dass er mit einem so grausamen und perfiden Feind wie Stalin doch nicht verhandeln könne.
    »Und welche Konsequenzen sind das, Herr Reichsführer?«
    »Der Krieg gegen die Alliierten mag ja nicht mehr zu gewinnen sein, Schellenberg«, sagte Himmler. »Das wissen wir wohl beide. Aber da ist immer noch der Krieg gegen die Juden.
    Der Führer hat befohlen, dass die Endlösung der Judenfrage im nächsten Jahr absolute Priorität erhalten soll. In Ungarn und Skandinavien haben bereits neue Deportationen begonnen, und die Sonderlager haben Anweisung, ihren Durchsatz zu erhöhen.«
    Himmler stand auf, verschränkte die Hände hinterm Rücken, ging ans Fenster und sah hinaus.
    »Das wird natürlich schwere Arbeit. Unangenehme Arbeit sogar. Mir persönlich ist dieser Befehl besonders zuwider. Wie Sie wissen, habe ich mich immer bemüht, für Hitler und für Deutschland einen gerechten Frieden zu erreichen.« Er drehte sich zu Schellenberg um und zuckte die Achseln. »Aber es hat nicht sollen sein. Wir haben unser Bestes getan. Und jetzt …«
    Er ging langsam zu seinem Schreibtisch zurück, setzte sich und nahm seinen Füller mit der berüchtigten grünen Tinte in die Hand. »Jetzt müssen wir unser Schlimmstes tun.«
    Schellenberg atmete auf. Ihm würde tatsächlich nichts passieren.
    »Jawohl, Herr Reichsführer.«
    555

    ANHANG
    AUS DEN WERKEN WILLARD MAYERS
    »Zufriedenheit besteht darin, die äußerste Grenze menschlicher Vernunft und Erfahrung erreicht zu haben, und es liegt mehr Befriedigung im Akzeptieren der Begrenztheit dessen, was sich logisch sagen lässt, als in aller Moralphilosophie, die die Menschheit je entwickelt und studiert hat. Die Vernunft ist so träge wie ein Edelgas und funktioniert empirisch, indem sie sich auf das unmittelbar Gegebene und auf Tatbestände bezieht. Und was nicht empirisch überprüfbar ist, was sich nicht verifizieren oder falsifizieren lässt, kann niemals Gegenstand unserer vernünftigen Erkenntnis sein. Ein empirischer Mensch zu sein heißt, sich von der Erfahrung leiten zu lassen, nicht von Sophisten, Scharlatanen, Priestern oder Demagogen.

    Aus: Der empirische Mensch

    Alle Gegenstände, derer wir uns bewusst sind, sind entweder Erfahrungsinhalte, die wir aus Sinnesdaten gewinnen, oder Ideen, die wir nur aus einem Erfahrungsinhalt ableiten dürfen,
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