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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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Natürlich wurde es übertreten, relativ oft sogar, aber nie offen. Die Reformer verfolgten eine Strategie des langsam sich steigernden Drucks. Sie setzten die Schaffung der Reinen durch, die ursprünglich als Puffer zwischen den beiden Parteien gedacht waren, und begannen sie dann zu dominieren. Wissenschaftler, die ihnen nahe standen, machten sich in der Erforschung der Begleiter breit. Sie knüpften Kontakte zur Außenwelt. Langsam, aber stetig sollte im Opal ein Klima für den Umschwung hin zu einer Gesellschaft erzeugt werden, die auf die Begleiter verzichten konnte. Zu einer Gesellschaft ohne ›Ausbeutung‹, wie sie sagten. In Wirklichkeit wäre das nur eine Gesellschaft ohne Gesang, ohne Schönheit gewesen. Irgend so ein pseudodemokratischer Unsinn, der die ›Ausbeutung‹ auf einem Gebiet gedämpft und dafür anderswo vervielfacht hätte. Na, Haku, du Idiot, hast du einmal darüber nachgedacht, was aus dem Ersten Sänger in einem Opal ohne Begleiter geworden wäre? Wahrscheinlich nicht, dafür denkst du nicht weit genug.«
    Haku antwortete nicht. Eline sah sie wieder an. Zwei Meter noch.
    »Und weil die Reformer trotz ihrer hochethischen Haltung wussten, dass es diesen Umschwung ohne Blutvergießen nicht geben würde, und weil sie auch wussten, wie stark die Traditionen waren, gegen die sie angingen, dachten sie über den Weg nach, der ihnen am sichersten zum Erfolg verhelfen würde. Als ich vor siebzig Jahren Erster Sänger wurde, waren sie noch nicht stark genug, um offen zum Staatsstreich aufzurufen, aber mit jedem Jahrzehnt verschlimmerte sich die Situation weiter, und sie gewannen an Einfluss. Die typischen Dekadenzerscheinungen einer Gesellschaft, die sich nicht mehr daran erinnert, unter welchen Bedingungen sie entstanden ist, also auch nicht mehr an die Werte, die sie am Leben erhält. Es war schließlich kaum noch möglich, Schüler heranzuziehen, die die Tradition verteidigten. Wir, die Konservativen, hatten seit der Konstruktion des Opals die Ersten Sänger gestellt, aber vor etwa zwanzig Jahren wurde deutlich, dass ich der Letzte in dieser langen Reihe sein sollte. Schließlich hielt ich allein mit meinem Ruf und meinem Namen den Mythos zusammen. Wie wichtig ich geworden war. Wie leer alles geworden war. Begreifst du, was es heißt, der Letzte in einer so langen Reihe zu sein? Natürlich nicht. Geschichte ist etwas Immaterielles, aber es kann auf den Schultern eines Menschen lasten wie ein Berg. Der Letzte zu sein, der eine sehr alte Gesellschaft regiert, erfordert irgendwann immer eine Grundsatzentscheidung. Mir ist diese Entscheidung nicht leicht gefallen, das kannst du mir glauben. Erst als ich von Keas und Hakus schmutzigem kleinem Plan hörte, konnte ich sie fällen. Da hatten die Verschwörer also eine Altweltlerin herangezüchtet, auf mich abgerichtet, auf mich scharf gemacht und warteten nur auf die Gelegenheit, die Hündin auf mich anzusetzen. Primitiv, wie das ganze Denken und Handeln dieser Leute immer schon. Eine bezahlte Mörderin von außen sollte es sein, von langer Hand herangezogen, genetisch und psychisch so deformiert, dass sie sich mit Lust auf meine Fährte begeben, sich mit Lust in meine Kehle verbeißen würde. Die Reformer warteten nur noch auf den Zeitpunkt, an dem sie die öffentliche Meinung ganz in ihrer Hand hatten, um die Hündin ins Spiel bringen zu können. Erkennst du dich wieder, Latil? Wie findest du das? Du hast dich immer für ein Monstrum gehalten, für etwas ganz Außergewöhnliches, und in Wirklichkeit bist du doch nur das vollkommen durchprogrammierte Produkt einer politischen Intrige.«
    Latil fühlte sich schwanken, als die Worte Elines einsanken wie Bleigewichte. Es war, als drücke ihr eine gewaltige Last auf die Stirn. Sie konnte nicht klar denken.
    »Du bist eine Puppe, Latil. Fäden! Sie haben dich gemacht! Du bist, wie du bist, weil sie es so wollen, und du tust, was du tust, auf ihren Befehl hin!«
    Er schien zu schreien, aber in Wirklichkeit hatte er nicht einmal seine Stimme erhoben. Sie schwankte wie in zähflüssigem Öl .
    »In dem Moment, in dem ich von diesem Plan erfuhr, stand meine Entscheidung fest. Der Opal war am Ende, die Reformer griffen nach der Macht. Sie würden den Opal zerstören, und bevor sie es tun konnten, wollte ich es tun. Es war meine Pflicht. Lieber ein Ende in Schönheit, als der schleichende Niedergang unter der Herrschaft der Dummköpfe. Treue hieß in diesem Fall Vernichtung. Ich flüchtete hierher und gab den
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