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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch
Autoren: Daniel Silva
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musste sein, fürchte ich. Auch die Bewohner der hübschen Bristol Mews in Maida Vale bitte ich um Entschuldigung dafür, dass ich einen russischen Überläufer in ihre Mitte verpflanzt habe. Sollte der Verfasser jemals in London untertauchen müssen, wäre es bestimmt dort. Kein Leser sollte versuchen, Gabriel Allon im Haus Nummer 16 der Narkiss-Straße in Jerusalem oder Wiktor Orlow in der Cheyne Walk Nummer 43 in Chelsea zu finden. Er sollte auch nicht zu viel Gewicht auf meine Verwendung eines Rings mit vergifteter Nadel legen, obwohl ich vermute, dass der KGB und seine Nachfolger mit so etwas arbeiten.
    Die Massengräber aus der Zeit des Großen Terrors, die auf dem Höhepunkt von Der Oligarch entdeckt werden, sind erfunden, aber die historischen Umstände, die sie hätten hervorbringen können, sind es leider nicht. Wie viele Menschen bei den brutalen Säuberungen der Jahre 1936 bis 1938 erschossen wurden, wird sich wohl nie mehr genau feststellen lassen. Schätzungen reichen von etwa 700000 bis zu weit über einer Million Opfer. An dieser Stelle soll nur angemerkt werden, dass die Zahl der Hingerichteten nur ein Indiz für die Leiden ist, die Stalin in der Zeit des Großen Terrors über Russland gebracht hat. Der Historiker Robert Conquest schätzt, dass diese Säuberungen und die von Stalin verschuldeten Hungersnöte elf bis dreizehn Millionen Menschenleben gefordert haben. Andere Historiker sprechen von noch höheren Zahlen. Und trotzdem zeigen Meinungsumfragen immer wieder, dass Stalin bis heute in Russland sehr populär ist.
    Zu den wenigen Orten, an denen Russen um Stalins Opfer trauern können, gehört Butowo, ein Stück südlich von Moskau gelegen. Von August 1937 bis Oktober 1938 wurden dort schätzungsweise 20000 Menschen durch Genickschuss getötet und in lange Massengräber geworfen. Ich habe die erst vor wenigen Jahren eröffnete Gedenkstätte Butowo im Sommer 2007 während der Recherchen zu Das Moskau-Komplott mit meiner Familie besucht und wurde dort maßgeblich zu Der Oligarch inspiriert. Eine Frage ging mir nicht aus dem Kopf, als ich, von weinenden Russen begleitet, langsam die Massengräber abschritt: Warum gibt es nicht mehr solcher Orte? Orte, an denen gewöhnliche Russen mit eigenen Augen Beweise für Stalins unvorstellbare Verbrechen sehen können. Die Antwort lautet natürlich, dass die Herrscher des Neuen Russlands kein allzu großes Interesse daran haben, die Sünden der sowjetischen Vergangenheit aufzudecken. Sie unternehmen im Gegenteil den sorgfältig inszenierten Versuch, die widerwärtigsten Aspekte jener Zeit wegzuretuschieren, indem sie zugleich ihre Errungenschaften feiern. Ihre Motive sind verständlich. Der NKWD, der den Großen Terror auf Befehl Stalins durchführte, war der Vorgänger des KGB. Und ehemalige KGB-Offiziere, darunter auch Wladimir Putin, herrschen jetzt in Russland.
    Solch historische Kurzsichtigkeit birgt natürlich eine Gefahr in sich: die Gefahr, dass sich die Geschichte wiederholt. Auf eine gewisse, sehr subtile Art und Weise tut sie das schon jetzt. Seit Wladimir Putin, damals russischer Präsident und jetzt Ministerpräsident, im Jahr 1999 an die Macht gekommen ist, hat es weitreichende Einschränkungen von Pressefreiheit und Bürgerrechten gegeben. Und im Dezember 2008 hat die Regierung ein neues Gesetz eingebracht, das den Tatbestand des »Hochverrats« erheblich ausdehnen soll. Menschenrechtsaktivisten – ohnehin schon auf schwankendem Boden – befürchten, das neue Gesetz könnte dazu dienen, jeden einzusperren, der es wagt, das Regime zu kritisieren. Dem früheren KGB-Offizier Andreij Lugowoi, dem britische Strafverfolger im November 2006 vorgeworfen haben, den Dissidenten und Überläufer Alexander Litwinenko vergiftet zu haben, scheint das neue Gesetz allerdings nicht weit genug zu gehen. Der jetzige Abgeordnete, in dem viele Russen einen Helden sehen, erklärte der spanischen Zeitung El Pais, wer es wage, Russland zu kritisieren, »sollte ausgerottet werden«.
    Dann fuhr Lugowoi fort: »Ob ich glaube, dass jemand Litwinenko im Interesse des russischen Staats hätte beseitigen sollen? Falls Sie die russischen Staatsinteressen im reinsten Sinn des Wortes meinen, so hätte ich diesen Befehl selbst gegeben.« Und das von jemandem, nach dem die britischen Behörden wegen der Ermordung genau des Mannes fahnden, von dem er spricht.
    Für jene, die es wagen, den Kreml und die mächtige russische Elite infrage zu stellen, sind Verhaftung und
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