Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder
Autoren: Helene Tursten
Vom Netzwerk:
werden versuchen, um elf zu kommen.«
    »Es ist jetzt sicher an der Zeit runterzugehen. Wie Sie wissen, können die Streifenpolizisten ja nicht ins Haus«, sagte sie freundlich.
    Sie brachte ihn mit dem Fahrstuhl hinunter. Er murmelte ein Dankeschön und verschwand zwischen den beiden Polizisten draußen im Dunkel.
     
    Irene Huss musste einfach stehen bleiben und den so sorgfältig verlegten Marmorboden bewundern. Das Motiv stellte einen schwarzen Schwan dar, der von weißen und rosa Lilien umgeben wurde. Das war der schönste Boden, den sie je gesehen hatte. Carl Larsson an den Wänden des Treppenhauses, als zusätzlicher Bonus, verschlechterte den Eindruck auch nicht gerade.
    Während ihrer vielen Jahre bei der Polizei war sie bereits in hunderten von Hauseingängen gewesen. Die meisten waren heruntergekommen, der Gestank nach Pisse und billigem Essen schlug den Besuchern wie das selbst produzierte Tränengas des Vororts entgegen. Die Wände waren abgeblättert, und Gekritzel auf ihnen kündete vollmundig von »Schwanz«, »Ausländer raus«, »Kilroy was here« und anderen aufmunternden Parolen. Schmutzige Treppen und eingetretene Wohnungstüren gehörten zum normalen Bild. Die Polizei hat selten etwas in Hauseingängen mit Marmorbelag auf dem Boden und Carl-Larsson-Malereien an den Wänden zu suchen.
     
    Die Balkontür stand offen, und die Beamten waren damit beschäftigt, Spuren zu sichern. Eine sehr konkrete war ein Fleischerbeil. Nicht in der Größe eines Schlachtwerkzeugs, sondern eher eine kleinere Küchenvariante.
    »Das lag auf dem Balkonboden, ganz an der Wand. Es hat unter dem Dach gelegen, da werden wir bestimmt einiges Interessantes dran finden«, sagte Andersson.
    Der Kommissar war aufgewühlter, als er zugeben wollte. Seine Wangen zeigten eine intensive Röte. Leise fragte Irene: »Bist du in Ordnung? Ich meine … was den Blutdruck betrifft?«
    »Was kümmert dich das?«
    Der Kommissar schaute wütend auf. Keiner wird gern an seine beginnenden Alterszipperlein erinnert. Und hoher Blutdruck war eins der seinen. Die Beamten schauten verwundert von ihrer Arbeit auf. Mit aller Kraftanstrengung beherrschte Andersson sich und zwang seine Stimme in leisere Regionen.
    »Die Sauna war an. Mir ist ziemlich heiß geworden, als ich reingeguckt habe«, erklärte er, konnte aber nicht einmal sich selbst damit überzeugen.
    Irene beschloss, die peinliche Frage nach dem Blutdruck des Chefs auf sich beruhen zu lassen.
    »War der Ofen noch an?«, wunderte sie sich.
    »Nein, der war ausgestellt. Und hier hast du die Erklärung für den Zigarrengeruch.«
    Andersson deutete auf eine Zigarre, die in einem blauen Kristallaschenbecher lag, platziert auf einem Rauchtisch mit runder Kupferscheibe. Neben dem Aschenbecher stand ein breites Whiskyglas mit einem kleinen bernsteinfarbenen Rest auf dem Grund. Der Rauchtisch diente als Sideboard zwischen den beiden über Eck stehenden Sofas. Diese sahen einladend und bequem aus in ihrem weinroten, weichen Leder. Das Sofa, das dem Balkon am nächsten stand, zeigte mit dem Rücken zum Schmiedeeisengeländer und mit der kurzen Seite zur Balkontür. Vor dem großen Sprossenfenster thronte ein Ohrensessel im gleichfarbenen Leder wie die Sofas. Eine Halogenleselampe daneben sah fast aus wie eine Fleisch fressende Pflanze aus Messing. Das andere Sofa war zur Balkontür hin ausgerichtet, mit dem Rücken zur Treppe und zum Schlafzimmerflur. Die Platzierung des Aschenbechers und des Whiskyglases deutete darauf hin, dass Richard von Knecht auf letztgenanntem Sofa gesessen hatte. Der Kommissar betrachtete nachdenklich das Arrangement.
    »Warum saß er auf dem Sofa und nicht auf dem Sessel?«, überlegte er.
    »Sieh doch mal die Lautsprecher. Der eine steht in der Ecke und der andere auf der anderen Seite der Balkontür. Wahrscheinlich ist der Klang am besten, wenn man auf dem Sofa sitzt«, erwiderte Irene Huss.
    Sie ging zum CD-Spieler, der hinter einer rauchfarbenen Glastür in einem der Bücherregale versteckt war. Mit einem Stift drückte sie vorsichtig auf einen Knopf, und die Scheibe glitt heraus. Ohne sie anzufassen, las sie laut den Titel: »›The Best of Glenn Miller‹. Richard von Knecht sitzt hier also frisch aus der Sauna kommend, raucht eine gute Zigarre, trinkt einen Schluck und hört Glenn Miller. Und dann soll er also plötzlich aufspringen, sich mit dem Fleischerbeil in die Hand hauen und vom Balkon springen! Das klingt nicht besonders glaubwürdig. Die Stridner hat Recht,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher