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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller
Autoren: Aufbau
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sich gekehrt, das Gesicht zur Wand gedreht im Wissen um den nahen Tod. An ihrem Dahinscheiden war nichts Romantisches, nichts Erhabenes oder Himmlisches gewesen. Nur eine junge Frau, gequält von Schmerzen, nur Blut und Schleim und dann der Verfall. Als sie gestorben war, kamen Männer, die ihre Kleider und die Möbel ihres Schlafzimmers verbrannten. Sie kratzten sogar die Wände ab, als verberge sich dort eine Krankheit bringende, tödliche Kraft. Elizabeth war nur 31 Jahre alt geworden.
    Zwei Monate lang hatte er an ihrem Bett gesessen und ihre Hand gehalten. In dieser Zeit hatte er begriffen, dass sie einanderfremd geworden waren. Sie starb in seinen Armen, aber eine Krankenschwester hätte es auch getan. Zwischen ihnen lag mehr als ein Krieg. In ihrer Welt war Liebe so schwer zu erlangen wie Vergebung.
    Elf Jahre zuvor hatten sie sich auf dem ersten Ball der Wintersaison in Delhi kennengelernt. Sie war mit der »Fischfangflotte« – dem jährlichen Aufgebot heiratsfähiger junger Damen auf der Suche nach einem Ehemann – gekommen und bald darauf Mrs. Wylam geworden. Er hatte sie nicht geliebt – die Mädchen dieser Flotte erwarteten keine Liebe –, aber er hatte gelernt, für sie zu sorgen.
    Christopher nahm wieder in seiner Bankreihe Platz. Der Priester am Altar reinigte den Kelch und stimmte den liturgischen Wechselgesang an: » Ecce Virgo concipiet et pariet filium . – Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären.«
    In einem Monat sollte Christopher Vierzig werden, aber er fühlte sich älter. Seine Generation – was der Krieg davon übrig gelassen hatte – war schon alt: junge Greise, die ein zerfallendes Imperium regieren und die Wunden des Krieges heilen sollten. Ihn schauderte bei dem Gedanken. Es würde wieder Krieg in Europa geben. Noch vor einem Jahr hätte ihn die Vorstellung kalt gelassen. Aber jetzt hatte er einen Sohn, um dessen Leben er fürchten musste.
    Wie bei so vielen, die in den Schützengräben von Frankreich und Belgien gekämpft hatten, waren auch Christophers Geist und Körper intakt. Aber sein eigener Krieg, dieser düstere, geheime, schmutzige Krieg, über den er nicht einmal sprechen durfte, hatte ihn verändert. Er war zurückgekommen mit einem unversehrten Körper, aber einer zerstörten Seele voller Kälte und Einsamkeit. Der Staub Indiens würgte ihn, füllte Nase, Hals und Brust mit trockenen, bitteren Gerüchen.
    Dass Elizabeth so bald nach seiner Rückkehr gestorben war, hatte all diese Veränderungen einfrieren, erstarren, versteinern lassen. Das zeigte sich in den offenbaren Dingen, die Krieg und Tod nun einmal mit sich bringen – in Verbitterung, Freudlosigkeit, dem Erkalten der Gefühle, bodenloser Trauer und der tiefen Erkenntnis der Sinnlosigkeit alles Tuns. Aber dann fand er in sich auch andere Empfindungen, die ihn überraschten: den Gauben daran, dass es hinter all dem trügerischen Schein noch menschliche Werte gab, Mitleid mit den Menschen, die er getötet hatte, und mit sich selbst in seiner früheren Erbarmungslosigkeit, Geduld, das Unabänderliche zu akzeptieren. Manchmal träumte er von hohen weißen Bergen und kühlen, spiegelblanken Seen. Er verbrachte viel Zeit mit William.
    Der Priester machte die letzte Schriftlesung, die abschließenden Gebete wurden gesprochen, die letzten Töne verklangen. Die Messe war zu Ende. Christopher nahm William bei der Hand und führte ihn aus der festlich geschmückten Kirche in die Dunkelheit hinaus. Es war der 4. Advent, aber er konnte kaum glauben, dass Gott jemals wieder auf die Erde herabsteigen werde.
    Den Wagen, der am Straßenrand vor ihnen im Schatten wartete, bemerkten sie nicht.
2
    »Christopher!«
    Als er sich umwandte, sah er eine Gestalt, die aus der Seitentür der Kirche getreten war. Pater Middleton kam, noch im Priesterrock, auf sie zu.
    »Guten Abend, Pater. Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich möchte mit Ihnen sprechen, Christopher. Wenn Sie erlauben, begleite ich Sie ein Stück.«
    Der Priester fröstelte ein wenig in der Kälte. Sein Ornat war eher ein spirituelles als ein materielles Kleidungsstück. Aber er war ein starker Mann, der gern zeigte, dass er den Elementen trotzen konnte, wenn es darauf ankam. Christopher mochte ihn. Nach Elizabeths Tod hatte er ihn mit demonstrativer Pietät verschont und ihm sehr geholfen, weil er das Gerede von den glücklichen Seelen im Paradies vermied.
    »Lassen Sie uns in der Kirche sprechen«, schlug Christopher vor. »Sie frieren
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