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Der Neue Frühling

Der Neue Frühling

Titel: Der Neue Frühling
Autoren: Robert Jordan
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auch?«, sagte Merean. Diryk schwebte in die Luft und wehrte sich gegen Fesseln, die er nicht sehen konnte, während er über das Geländer trieb. Brys drehte den Kopf und sah seinem Sohn nach; bewegte den Mund um den unsichtbaren Knebel herum.
    »Nein!«, schrie Moiraine. Sie schickte verzweifelt Luftströme los, um den Jungen wieder in Sicherheit zu bringen. Merean schnitt sie durch, während sie selbst losließ. Diryk stürzte kreischend ab, und weißes Licht explodierte in Moiraines Kopf.
    Benommen schlug sie die Augen auf, während der verhallende Schrei des Jungen noch in ihren Ohren hallte. Sie lag rücklings auf dem Steinboden, und alles drehte sich um sie herum. Solange sich ihr Schwindel nicht legte, kamen ihre Chancen, Saidar zu umarmen, denen einer Katze gleich, die singen wollte. Nicht, dass es jetzt noch einen Unterschied machte. Sie konnte die Abschirmung sehen, mit der Merean sie hielt, und selbst eine schwächere Frau konnte eine Abschirmung aufrecht erhalten, wenn sie erst einmal voll ausgebildet war. Sie versuchte aufzustehen, fiel zurück, schob einen Ellbogen unter sich.
    Nur Augenblicke waren vergangen. Lan und Ryne tanzten immer noch ihren tödlichen Tanz zum Klirren des Stahls. Brys war nicht nur wegen seiner Fesseln starr; er starrte Merean mit einem derart unversöhnlichen Hass an, dass es den Anschein hatte, als könnte er sich allein mit der Kraft seiner Wut befreien. Iselle zitterte sichtlich, schniefte und weinte und sah mit aufgerissenen Augen zu der Stelle, wo der Junge abgestürzt war. Wo Diryk abgestürzt war. Moiraine zwang sich, den Namen des Jungen zu denken, und zuckte innerlich zusammen, als sie an sein Grinsen und seine Begeisterung denken musste. Nur Augenblicke.
    »Ihr werdet noch einen Moment lang warten können«, sagte Merean und wandte sich von Moiraine ab. Brys schwebte über dem Boden. Der Gesichtsausdruck des stämmigen Mannes veränderte sich nicht, er wandte den hasserfüllten Blick nicht von Merean ab.
    Moiraine kämpfte sich auf die Knie. Sie konnte keine Macht lenken. Sie hatte keinen Mut mehr, keine Kraft. Nur noch Entschlossenheit. Brys schwebte über die Brüstung. Moiraine stand zitternd auf. Entschlossenheit. Mit dem Ausdruck unversöhnlichen Hasses im Gesicht stürzte Brys ab, ohne einen Laut von sich zu geben. Dies musste ein Ende haben. Iselle schwebte in die Luft, zappelte voller Panik und versuchte angestrengt, trotz des Knebels zu schreien. Es musste jetzt ein Ende haben! Stolpernd stieß Moiraine Merean das Messer in den Rücken: Blut spritzte auf ihre Hände.
    Sie fielen gemeinsam auf die Fliesen, das Leuchten um Merean erlosch, als sie starb, Moiraines Abschirmung brach zusammen. Iselle schrie und schwankte auf der Brüstung, wo Mereans Fesseln sie fallen gelassen hatten. Moiraine trieb sich selbst zum Handeln an, stolperte über Mereans Leichnam und packte einen von Iselles rudernden Armen, als die Schuhe des Mädchens gerade ins Freie abrutschten.
    Der Ruck zog Moiraine mit dem Bauch auf die Brüstung, und sie sah auf das Mädchen hinab, das sie in ihren vom Blut glitschigen Händen über einem Abgrund festhielt, der bodenlos zu sein schien. Es kostete Moiraine alle Anstrengung, sie nur zu halten, wo sie waren. Wenn sie versuchte, das Mädchen hochzuziehen, würden sie beide abstürzen. Iselles Gesicht war verzerrt, ihr Mund verkrampft. Ihre Hand rutschte aus Moiraines Griff. Moiraine zwang sich zur Ruhe und suchte nach der Quelle, fand sie aber nicht. Auf die fernen Dächer hinunterzusehen half auch nicht gegen den Schwindel. Wieder versuchte sie es, aber es war, als wollte sie mit gespreizten Fingern Wasser schöpfen. Aber sie würde einen der drei retten, auch wenn es die nutzloseste von ihnen war. Sie kämpfte gegen das Schwindelgefühl an und suchte nach Saidar. Und Iselles Hand glitt aus ihren blutigen Fingern. Moiraine konnte nur zusehen, wie sie abstürzte und dabei die Hand ausgestreckt hielt, als ob sie glaubte, jemand würde sie noch retten.
    Ein Arm zog Moiraine vom Geländer weg.
    »Man sollte niemals jemanden sterben sehen, wenn es nicht unbedingt sein muss«, sagte Lan und stellte sie auf die Füße. Sein rechter Arm hing ihm an der Seite herab, ein langer Schnitt hatte den Ärmel aufgeschlitzt und das Fleisch darunter, und er hatte noch andere Verletzungen außer der klaffenden Wunde am Kopf, aus der ihm noch Blut übers Gesicht lief. Ryne lag zehn Schritte entfernt auf dem Rücken und starrte überrascht und blicklos gen Himmel.
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