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Der Nautilus-Plan

Der Nautilus-Plan

Titel: Der Nautilus-Plan
Autoren: Gayle Lynds
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mein Vater. Duchesne ist der Carnivore.«

EPILOG
Sizilien
    In der Ferne krallte sich das verwitterte Städtchen Gangi an einen der steilen Abhänge unter dem sonnenversengten Gipfel des Monte Marone. Die verschlungenen Gassen und Sandsteintreppen, die die einzelnen Ebenen des alten Städtchens miteinander verbanden, waren von da, wo Liz einen Bergkamm hinunterwanderte, nicht zu sehen. Alles, was sie im Moment von Gangi sehen konnte, war das Meer ziegelgedeckter Dächer, deren Rot im Lauf der Jahrhunderte zu einem hellen Orangeton verblasst war. Als sie am Morgen dieses Tages nach Gangi gekommen war, hatte sie sich nach ihrem Vater erkundigt, sowohl unter seinem richtigen Namen als auch unter drei seiner Decknamen – Alex Bosa, Alessandro Firenze und Cesar Duchesne. Außerdem hatte sie eine Zeichnung herumgezeigt, auf der er aussah wie in Dreftbury.
    Der Bürgermeister in seinem seriösen schwarzen Anzug versicherte ihr stolz, in dieser abgelegenen Gegend jeden zu kennen, aber weder der Name noch das Gesicht sagten ihm etwas. Nicht anders erging es Liz natürlich auch beim Mafia-Capo und bei den Carabinieri. Ladenbesitzer und Hausfrauen wussten nichts, hatten nichts gesehen.
    Liz blieb nicht mehr viel Zeit. Es war September, und sie war inzwischen schon fast einen Monat in Sizilien. Zuerst war sie in Cefalù an der Nordküste gewesen, das die Heimatstadt der Firenzes und Bosas war, von denen ihr Vater, sie und Sarah abstammten. Dort hatte er sich heimlich eine Villa gebaut, in der er sich zur Ruhe gesetzt hatte und angeblich gestorben war.
    Als sie jedoch in Cefalù auf keine Spur stieß, arbeitete sie sich entlang der SS 286 ins Landesinnere vor und suchte nach ihm in den abgeschiedenen Gehöften und Dörfern, die die wilden Berge Siziliens sprenkelten. Manche Dörfer waren so klein, dass sie auf keiner Karte eingezeichnet waren. Gerüchten zufolge hielt sich Bernardo Provenzano, der berühmte capo di tutti capi der Cosa Nostra, der »Boss aller Bosse«, dort irgendwo versteckt. Provenzano hatte sich vierzig Jahre lang mit Erfolg seiner Festnahme entzogen. Daran war das für Sizilien einzig Ungewöhnliche, dass er so lange hatte untertauchen können. Sein Vorgänger Salvatore Riina – auch als »der Kurze« bekannt – hatte lediglich dreiundzwanzig Jahre lang untertauchen können, bevor er 1993 verhaftet wurde.
    Nach einem letzten misstrauischen Blick auf Gangi bog Liz in den cortile eines verwitterten, halb verfallenen Steinhauses. Auf dem unbefestigten Vorplatz standen ein Dutzend mit frisch gebügelten blaukarierten Tischtüchern gedeckter Tische, die auf die Abendgäste warteten. Liz hatte gehört, dass die Leute nach einem harten Arbeitstag auf ihren Feldern oder in ihren Olivenhainen oft kilometerweit hierher kamen, um zu essen, zu trinken und sich zu unterhalten. Manche nannten das Lokal Il Santuario, andere Il Purgatorio. Vom Inhaber des ristorante , der ein Gedächtnis wie ein Lexikon hatte, hieß es, er habe Beziehungen zur Mafia.
    Die Tür des Lokals war offen. Der Geruch von Knoblauch, würziger Tomatensoße und Wein drang nach draußen. Um ihre Aufregung zu verbergen, setzte Liz ein freundliches Lächeln auf, bevor sie in das kühle Dunkel im Innern trat. Das Haus war sehr alt, mit winzigen Fenstern, die wenig Licht nach drinnen ließen. Aber die Gaststube war groß. Es hielt sich nur eine Person darin auf.
    »Signor Aldo Cappuccio?«, fragte Liz.
    Der Mann, der hinter dem hölzernen Tresen stand, dessen Oberfläche im Lauf der Jahrzehnte von unzähligen Ellbogen und Gläsern glatt poliert worden war, breitete die Arme aus und lächelte, ganz der freundliche Gastgeber.
    »Buon giorno. Che cosa desidera?«
    Er war etwa fünfzig Jahre alt, klein und drahtig, mit einem schwarzen Schnurrbart, dunkler Gesichtsfarbe und grünen sizilianischen Augen. Liz bemerkte keinerlei Anzeichen, dass er bewaffnet war. In dem schummrigen Raum sah er eher aus wie ein gutmütiger Kobold und nicht wie ein Mann, dem auf beiden Seiten des Gesetzes großer Respekt entgegengebracht wurde. Trotzdem, irgendetwas an seinem Gesicht war eigenartig. Es hatte etwas Maskenhaftes, fand sie.
    Sie setzte ihr strahlendstes Lächeln auf. »Buon giorno. Il vino della casa, per favore.«
    Wie um besser hören zu können, neigte der Wirt den Kopf auf die Seite. »Basta cosi?«
    »Sì, grazie.«
    » Bene. Sie sprechen ja mit sizilianischem Akzent«, bemerkte er auf Italienisch, als er hinter sich nach dem Hauswein griff. »Sie sind
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