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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch
Autoren: Volker Kutscher
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und schaute sich Schäffners Einschüsse von nahem an. Mit einem Messer klaubte er eine Kugel aus der Tankwand. Seinem
     Gesicht war nicht anzusehen, was er dachte. Jedenfalls unterbrach der Chinese seine Arbeit, kam zu Marlow und flüsterte ihm
     etwas ins Ohr. Das Gesicht von Dr. M. hellte sich wieder auf. Er ging zu Rath und Gräf hinüber.
    »Herr Kommissar, Sie haben mir zugesichert, dass diese Operation diskret abläuft. Ich hoffe, Sie halten Ihr Versprechen.«
    »Keine Sorge. Nichts von dem, was hier geschehen ist, geht an die Presse.«
    »Und hier rückt auch nicht gleich euer Buddha an und stellt mir alles auf den Kopf?«
    »Keine kriminalpolizeiliche Untersuchung. Offiziell ist hier nichts geschehen.«
    »Es gab eine Menge Zeugen.«
    »Auf die beteiligten Polizeibeamten ist Verlass.«
    »Auf meine Leute auch. Dann hoffe ich nur, dass Sie auch die Stahlhelmer im Griff haben. Die haben einiges gesehen.«
    »Die werden nichts sagen. Verlassen Sie sich drauf.«
    »Gut. Dann sollten wir hier mal Ordnung schaffen. Wird Zeit, dass hier der normale Betrieb weitergeht.«
    Rath nickte nur.
    Marlow gab dem Chinesen einen Wink. Liang kuppelte die Kesselwagen an und kletterte wieder in die Lokomotive. Langsam setzte
     sich der Zug in Bewegung. Er fuhr weg, wie er gekommen war. Wie ein Geisterzug.

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    35
    D as Nasse Dreieck machte seinem Namen alle Ehre. Die Gaststube war tatsächlich dreieckig, so wie das ganze zwischen zwei Mietskasernen gezwängte
     Häuschen, und sie war so klein, dass man dank der kurzen Nachschubwege selten auf dem Trockenen saß. Die Kneipe hatte weitere
     Vorzüge: Die Preise waren human, und die bescheidenen Abmessungen ließen nicht einmal Platz für Schlägereien. Außerdem wäre
     Rath von hier aus zur Not auch kriechend nach Hause gekommen.
    Nur vier Tische hatten in dem Schankraum Platz. Rath war das egal. Er saß sowieso meistens an der Theke. Wie auch jetzt.
    »Schorsch, noch ’ne Molle und ’nen Kurzen für uns beide!«
    »Also zwee Mollen un zwee Kurze?«
    »Jau.«
    »Un keene für mich?«
    »Dann mach drei.«
    Seit der Schießerei am Ostbahnhof mochten drei, vier Wochen vergangen sein. Mitte Juni, der Sommer hatte die Stadt jetzt fest
     im Griff. Im Nassen Dreieck war es angenehm kühl. Der Wirt stellte zwei Bier und zwei Korn auf den Tresen.
    Rath hob sein Schnapsglas. »Prost, Herr Kriminalsekretär! Auf deine Beförderung.«
    »Scheiß auf meine Beförderung.« Reinhold Gräf winkte ab. Das Thema war ihm sichtlich unangenehm. Die ganze Burg sprach darüber:
     Mit dreiundzwanzig schon Kriminalsekretär! Und das in Zeiten einer Beförderungssperre! »Trinken wir auf das Leben.«
    Sie kippten den scharfen Korn hinunter. Der Zwischenfall am Ostbahnhof hatte sie auf eine seltsame Art zusammengeschweißt,
     obwohl sie nie darüber sprachen. Umso öfter trafen sie sich und tranken. Meist im Nassen Dreieck .
    »Hast du gehört? Der Buddha will die Akte Selenskij/Fallin endlich zu den nassen Fischen stellen«, sagte Rath.
    Gräf trank schweigend sein Bier. »Charly hat mich heute wieder ausgequetscht«, sagte er nach einer Weile.
    »Will sie immer noch wissen, warum du dich mit mir triffst?«
    Gräf nickte.
    »Und was hast du ihr gesagt?«
    Gräf grinste. »Wie immer. Dass es deine unwiderstehlichen Augen sind.«
    Rath lachte. Obwohl ihm eigentlich nicht danach zumute war. Nicht, wenn er an Charly dachte. Nach der missglückten Operation
     am Ostbahnhof war ihr Verhältnis wieder merklich abgekühlt. Zu vieles kam ihr merkwürdig vor. Kein Wunder. Sie kannte die
     ganze Wahrheit, ihr mussten die Ungereimtheiten der Geschichte auffallen, die der Polizeipräsident über die Operation verbreitete.
     Und Gereon Rath schwieg dazu. Ebenso Kriminalsekretär Gräf.
    Sie sprachen oft über Charly. Und dann wussten sie, dass sie eigentlich über die Sache am Ostbahnhof sprachen. Und über ihr
     Schweigen. Zörgiebel wusste, wie man Schweigen kaufte. Derfrischgebackene Kriminalsekretär Gräf fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Ebenso wenig Rath. Und der war nicht einmal befördert
     worden.
    Aber wie viele Polizisten gab es schon, die sich wohl in ihrer Haut fühlten?
    Es war spät, als das Nasse Dreieck schloss, und immer noch reflektierten die Steine und der Asphalt die Hitze des Tages. Rath musste nur quer über den Wassertorplatz,
     dann war er schon fast zu Hause. Er fühlte sich nicht einmal richtig betrunken. Dabei war die Rechnung im Nassen Dreieck wieder mal ziemlich üppig
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