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Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis

Titel: Der Name dieses Buches ist ein Geheimnis
Autoren: Pseudonymous Bosch
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versteckt.), kann ich dir genauso gut auch unseren zweiten Helden, Max-Ernest, beschreiben. Aber denk dran, was ich dir gesagt habe von wegen vergessen. Also sieh zu, dass du das, was du über Max-Ernests Aussehen erfährst, sofort aus deinem Kopf verbannst – zu deiner eigenen Sicherheit.
    Er war ziemlich klein, aber das Auffälligste an ihm war sein Haar. Es stand in alle Himmelsrichtungen ab, wie bei einer Comicfigur, die gerade den Finger in die Steckdose gesteckt hat.
    Dabei war seine Frisur keine Frage der Mode, es ging vielmehr um Philosophie. Max-Ernest schnitt jedes einzelne Haar auf die exakt gleiche Länge, weil er keins seiner Haare bevorzugen wollte. Haare mochten zwar aus abgestorbenen Zellen bestehen, so argumentierte er, aber sie wuchsen dennoch und verdienten es daher, gerecht behandelt zu werden. (Falls du seinen Standpunkt verschroben und exzentrisch findest, kann ich dir nur beipflichten.)
    Dass Haare abgestorben sind, aber dennoch wachsen, ist ein wohlbekanntes Paradox: Etwas, das unmöglich erscheint, aber dennoch so ist. Max-Ernest mochte Paradoxe wie auch sonst alle Rätsel, Scherzfragen und Wortspiele.
    Max-Ernest mochte auch Mathematik. Und Geschichte. Und Naturwissenschaften. Und so ziemlich jedes andere Fach auch.
    Trotz seiner schmächtigen Statur zog Max-Ernest die Aufmerksamkeit auf sich, wo er auch hinging. Er konnte nichts dafür. Max-Ernest war, wie du bald feststellen wirst, eine Plaudertasche. Eine große sogar. Er redete die ganze Zeit. Ununterbrochen. Sogar im Schlaf.
    Sein »Zustand«, wie seine Eltern es nannten, war so schlimm, dass sie schon zahllose Experten aufgesucht hatten in der Hoffnung auf eine eindeutige Diagnose.
    Der erste sagte, Max-Ernest habe eine Aufmerksamkeitsstörung. Der zweite erklärte, der erste sei selbst gestört. Der dritte behauptete, Max-Ernest sei Autist, der vierte, er sei Artist. Einer stellte ein Tourette-Syndrom fest, der nächste tippte auf Asperger-Syndrom. Ein anderer war davon überzeugt, dass das eigentliche Problem die Eltern wären, die unter dem Münchhausen-Syndrom litten.
    Und wieder ein anderer behauptete, Max-Ernest bräuchte nichts weiter als eine ordentliche Tracht Prügel.
    Sie verabreichten ihm Pillen und verordneten Übungen. Aber je verbissener sie ihn zu heilen versuchten, desto schlimmer wurde es mit ihm. Statt mit dem Reden aufzuhören, redete er nach jeder neuen Kur nur noch mehr.
    Am Ende konnten sich die Experten ebenso wenig auf eine Bezeichnung für seine Krankheit einigen, wie seine Eltern es bei seinem Namen geschafft hatten.
    Wie aus Max-Ernest Max-Ernest wurde
Eine Kurzgeschichte
    Max-Ernest war ein Frühchen. Das heißt, er wurde früher geboren – ungefähr sechs Wochen zu früh. Bei seinem Eintritt in die Welt hatten seine Eltern noch nichts unternommen, um sich auf seine Ankunft vorzubereiten. Sie hatten keinen Kinderwagen, kein Bettchen, keine grässlichen Spieluhren, keine Babyfeuchttücher und keine Großpackung Windeln. Auch lagen noch reihenweise spitze, gefährliche Dinge im Haus herum. Und sie hatten keinen Namen für ihn. Während das kleine, verschrumpelte rosige Bündel, aus dem später einmal Max-Ernest werden wollte, im Brutkasten der Klinik lag wie ein kleines Hühnchen (oder eher wie ein Kaninchen?) und in diesem Glasofen vor sich hin brutzelte, stritten seine Eltern darüber, wie er heißen sollte. Seine Mutter wollte ihn nach ihrem Vater Max nennen, der Vater dagegen nach seinem Vater Ernest. Keiner von beiden gab nach. Max-Ernests Mutter erklärte, eher würde ihr Kind ohne einen Namen durchs Leben gehen, als einen so altmodischen Namen wie Ernest zu tragen. Der Vater schwor, dass er lieber überhaupt kein Kind haben wollte als eins mit einem so armseligen, unbedeutenden Namen wie Max. Da er erst wenige Tage alt war, konnte Max-Ernest seinen Eltern nicht mitteilen, welchen Namen er selbst bevorzugte. Aber das hinderte die beiden nicht. Wenn er schrie, wertete seine Mutter das als Zeichen dafür, dass er den Namen Ernest hasste und lieber Max heißen wollte. Wenn er sich vollspuckte, fühlte sein Vater sich bestätigt, dass er den Namen Max hasste und lieber Ernest gerufen werden wollte. Am Ende drohte die Krankenschwester damit, das Kind zur Adoption freizugeben, falls die Eltern sich nicht endlich auf einen Namen einigten. Daher beschlossen sie, den Streit zu beenden und beide Namen in die Geburtsurkunde eintragen zu lassen. Aber die Auseinandersetzung hatte sie so wütend und verbittert
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