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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes
Autoren: Patrick Rothfuss
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Flamme in einem Gebäude, das angefüllt war mit abertausenden kostbaren Büchern.
    Und dann waren da die Marionetten. Sie hingen an Regalen und Wandhaken, lagen zusammengekrümmt in Ecken und unter Stühlen, und einige, die gerade im Bau oder in Reparatur waren, ruhten inmitten allerlei Werkzeuge auf dem Tisch. Ein Gestell mit diesen Figuren nahm eine ganze Wand ein, und jede einzelne von ihnen war die kunstvoll geschnitzte und bemalte Nachbildung einer bestimmten Person.
    Auf dem Weg zum Tisch streifte Puppet das schwarze Gewand ab und ließ es achtlos zu Boden gleiten. Darunter war er ganz schlicht gekleidet: zerknittertes weißes Hemd, zerknitterte dunkle Hose undnicht zusammenpassende, an den Fersen schon vielfach gestopfte Socken. Ohne Gewand und Kapuze war er sichtlich älter, als ich angenommen hatte. Sein Gesicht war zwar glatt und faltenlos, sein Haar aber schon weiß und schütter.
    Er machte einen Stuhl für mich frei, indem er eine kleine Marionette vorsichtig von der Sitzfläche hob und in einem nahen Regal unterbrachte. Daraufhin setzte er sich an den Tisch. Wilem und Simmon ließ er stehen, was sie aber nicht allzu sehr zu befremden schien.
    Nachdem er kurz in dem Durcheinander auf dem Tisch gewühlt hatte, zog er ein unregelmäßig geformtes Holzklötzchen und ein kleines Messer daraus hervor. Er blickte mir noch einmal lange und forschend ins Gesicht und begann dann mit viel Geschick zu schnitzen, und kleine Holzlöckchen segelten dabei auf die Tischplatte hinab.
    Ich verspürte seltsamerweise keinerlei Verlangen, zu fragen, was hier vor sich ging. Wenn man so viele Fragen stellt wie ich, entwickelt man irgendwann ein Gespür dafür, wann sie angebracht sind und wann nicht.
    Außerdem konnte ich mir die Antwort schon vorstellen. Puppet war einer jener hochbegabten, geistig aber nicht gänzlich gesunden Menschen, die an der Universität eine Nische für sich gefunden hatten. Exzentrische Charaktere gab es an dieser Hochschule zuhauf.
    In der Arkanumsausbildung mit ihrer unnachgiebigen Strenge gedeihen in den Gehirnen der Studenten widernatürliche Dinge. Am bemerkenswertesten ist dabei die Fähigkeit, das auszuüben, was gemeinhin Magie oder Zauberei genannt wird und was wir mit den Begriffen Sympathie, Sygaldrie, Alchemie, Namenskunde et cetera bezeichnen.
    Manche Gehirne kommen damit gut zurecht. Andere geraten in Schwierigkeiten.
    Meist kommt es unter den Strapazen des Arkanums nicht zu psychischen Zusammenbrüchen, sondern die Betreffenden tragen vielmehr einen Knacks davon. So ein Knacks kann sich in Kleinigkeiten äußern: in nervösen Gesichtzuckungen oder einem Stottern. Manche hören Stimme, andere werden vergesslich, erblinden oder verstummen … Manchmal hält das nur eine Stunde oder einen Tag lang an. Manchmal aber wird es zu einem Dauerzustand.
    Ich nahm an, dass Puppet ein Student war, der viele Jahre zuvor einen Knacks abgekriegt hatte. Es war nicht schlimm genug, um ihn ins Refugium einzuweisen, aber doch so schwerwiegend, dass er nirgends sonst mehr tätig sein konnte. Wie Auri schien er hier eine Nische für sich gefunden zu haben, auch wenn ich mich sehr wunderte, dass Lorren ihn hier unten wohnen ließ.
    »Guckt der immer so?«, fragte Puppet Wilem und Simmon. Unter seinen Händen hatte sich schon ein Holzspanhäufchen gebildet.
    »Meistens«, sagte Wilem.
    »Wie guckt er denn?«, fragte Simmon.
    »Als hätte er bei einer Partie Tirani gerade seine nächsten drei Züge durchdacht und wüsste ganz genau, wie er einen schlagen könnte.« Puppet sah mir noch einmal lange ins Gesicht und schnitzte dann einen weiteren dünnen Holzspan weg. »Das ist wirklich ziemlich irritierend.«
    Sie reckten beide den Kopf vor, um mich besser in den Blick zu bekommen. Wilem lachte bellend. »Das ist seine Denkermiene, Puppet. Die setzt er oft auf, aber nicht immer.«
    »Was ist denn Tirani?«, fragte Simmon.
    »Ein Denker, soso«, sagte Puppet. »Was denkst du denn gerade?«
    »Ich denke, dass du offenbar ein sehr sorgfältiger Menschenbeobachter bist«, erwiderte ich höflich.
    Puppet schnaubte, ohne den Blick zu heben. »Was nützt denn Sorgfalt beim Beobachten? Und was nützt Beobachten denn überhaupt? Die Leute beobachten ständig irgendetwas. Sie sollten lieber lernen, die Dinge zu sehen ! Ich sehe , was ich angucke. Ich bin ein Sehender.«
    Er betrachtete das Holzstück in seiner Hand und dann mein Gesicht. Sichtlich mit sich zufrieden, faltete er die Hände über der Schnitzerei – doch
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