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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes
Autoren: Patrick Rothfuss
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da hatte ich bereits einen Blick auf mein kunstvoll aus dem Holz herausgearbeitetes Profil erhascht. »Weißt du, was du einst warst, jetzt nicht bist und einmal wieder sein wirst?«, fragte er in sachlichem Ton.
    Es klang wie ein Rätsel. »Nein.«
    »Ein Sehender«, sagte er mit Bestimmtheit. »Denn das ist es, was E’lir bedeutet.«
    »Kvothe ist ein Re’lar«, sagte Simmon respektvoll. Er berichtigte Puppet nicht, sondern erwähnte es nur.
    Puppet schnaubte verächtlich. »Wohl kaum. Er mag es dem Rang nach sein, aber ihm fehlt dazu die Begabung«, sagte er und sah mich an. »Du könntest ein Sehender werden, aber noch bist du es nicht. Noch bist du ein Guckender. Eines Tages wirst du ein wahrer E’lir sein. Falls du lernst, dich zu entspannen.« Er hielt mir das geschnitzte Holzgesicht hin. »Was siehst du hier?«
    Es war nun kein unregelmäßig geformtes Holzklötzchen mehr. Meine Gesichtszüge, in ernste Gedanken versunken, schauten aus der Maserung hervor. Ich beugte mich vor, um es mir genauer anzusehen. »Nun ja …«
    Puppet lachte und riss die Hände hoch. »Zu spät!«, rief er und wirkte für einen Moment wieder wie ein kleiner Junge. »Du hast zu angestrengt geguckt und deshalb nicht genug gesehen. Zu viel Gucken kann beim Sehen hindern – da hast du’s!«
    Puppet stellte das geschnitzte Gesicht so auf dem Tisch ab, dass es eine der dort liegenden Marionetten anzuschauen schien. »Siehst du den kleinen Holz-Kvothe? Siehst du, wie er guckt? So angespannt! So konzentriert! Er könnte hundert Jahre lang so gucken, aber wird er jemals sehen , was er vor sich hat?« Puppet setzte sich wieder und ließ den Blick zufrieden durch den Raum schweifen.
    »E’lir bedeutet Sehender?«, fragte Simmon. »Haben die anderen Rangbezeichnungen denn auch eine Bedeutung?«
    »Als Student mit unbeschränktem Zugang zur Bibliothek kannst du das doch wohl selber herausfinden«, sagte Puppet. Seine Aufmerksamkeit richtete sich nun auf eine Marionette, die vor ihm auf dem Tisch lag. Er ließ sie auf den Fußboden hinab, behutsam, um ihre Fäden nicht zu verwirren. Sie war die perfekte Miniaturnachbildung eines grau gewandeten Tehlanerpriesters.
    »Könntest du uns einen Tipp geben, wo wir bei diesen Nachforschungen beginnen sollten?«, fragte ich, einer Eingebung folgend.
    »Renfalques Diktum.« Von Puppet geführt, erhob sich die Tehlanerpuppe vom Boden und bewegte nacheinander Arme und Beine, fast als würde sie sich nach langem Schlaf strecken.
    »Das sagt mir nichts.«
    Puppet erwiderte mit geistesabwesender Stimme: »Erstes Obergeschoss, Südostecke. Zweite Reihe, zweites Regal, drittes Brett von oben, rechte Seite, roter Ledereinband.« Der kleine Tehlanerpriester schritt langsam um Puppets Füße herum. In einer Hand hielt er das Buch des Weges in Miniaturnachbildung, absolut detailgetreu, bis hin zu dem winzigen Speichenrad-Signet auf dem Einband. Wir drei sahen zu, wie Puppet den kleinen Priester an den Fäden führte und ihn hin und her gehen ließ, ehe er sich dann schließlich auf einen von Puppets bestrumpften Füßen setzte.
    Wilem räusperte sich respektvoll. »Puppet?«
    »Ja«, erwiderte der, ohne von seinen Füßen hochzublicken. »Du hast eine Frage. Oder vielmehr: Kvothe hat eine Frage, und du willst sie für ihn stellen. Er sitzt leicht vorgebeugt, und die kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen und das leichte Schürzen seiner Lippen lassen das erkennen. Lass ihn die Frage selber an mich richten. Es könnte förderlich für ihn sein.«
    Ich erstarrte und fühlte mich ertappt: Es war genau, wie er sagte. Einen Moment lang saß ich regungslos da und versuchte mich zu entsinnen, wie man es anstellt, entspannt und locker auf einem Stuhl zu sitzen. Puppet zog weiterhin die Fäden seines kleinen Tehlaners. Der suchte sorgfältig, fast schon ängstlich die Umgebung der Füße ab und fuchtelte dabei mit dem Buch. Anschließend marschierte er um die Tischbeine herum und stieg in Puppets ausgezogene Schuhe hinein. Die Bewegungen wirkten verblüffend natürlich und lenkten mich so weit ab, dass ich meine Verlegenheit vergaß und meine Befangenheit schwand.
    »Ja, stimmt, ich hätte eine Frage zu den Amyr.« Mein Blick blieb auf die Szene gerichtet, die sich zu Puppets Füßen abspielte. Eine weitere Marionette hatte die Bühne betreten, ein junges Mädchen in bäuerlichem Gewand. Sie ging auf den Tehlaner zu und streckte ihm eine Hand entgegen, so als wollte sie ihm etwas geben. Ach nein, sie stellte ihm
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