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Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Autoren: Franz Binder
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dem Wohnheim ausgezogen, hatte er nicht Passagen aus dem
Buch der Erleuchtung
auf eine Weise ausgelegt, die weit über die Grenze geduldeter Spekulation hinausging? Verpackt in die üblichen Wendungen von
    Mitgefühl und Liebe war diese Kritik an Ben geäußert worden, in der gestelzten Sprache der Akademiestudenten, die in ihrer aalglatt formulierten
    Unangreifbarkeit keine Widerrede zuließ. Gleich aber, was die Atmas über Bens Tod mutmaßten, einhellig lobten sie den Entschluss von Lirep Peter Crapp, die
    Abschiedszeremonie zu leiten.
    Sanfte Flötenmusik erklang zugleich von allen Seiten. Das Tonsystem der Halle war so konstruiert, dass der Klang einer einzelnen Flöte den Raum erfüllte,
    von allen Seiten aus dem Nirgendwo der abgedunkelten Seitenwände schwebte, als dringe er unmittelbar aus den höheren Ebenen, von denen gesagt wurde, dass
    dort immerwährende Melodien von Flöten die nektarduftende Luft erfüllten. So hatte es Mahaguru Howard Jason in seinem Werk
Welten der Wahrheit
geschildert und so war es von vielen Eingeweihten der oberen Kreise bestätigt worden. Flötenmusik fehlte bei keiner Liga-Veranstaltung. Aron liebte solch
    erhabene Feierlichkeiten. Sie hatten ihn schon begeistert, als das Liga-Zentrum noch in einem Flachbau am Stadtrand untergebracht gewesen war, als die
    Medien noch von Psychokult sprachen und Politiker erörterten, ob man den nicht zu bremsenden Aufstieg und Einfluss dieser amerikanischen Sekte überhaupt
    dulden dürfe. Bens Mutter hatte in diesen Jahren oft Vorträge gehalten oder im Zentrum Kurse gegeben. Bei einem solchen Vortrag hatte Aron Ben zum ersten
    Mal in einem anderen Licht gesehen, nicht als guten Schulfreund, mit dem sich über Dinge reden ließ, die kaum einen anderen an der Schule zu interessieren
    schienen – über Tod, über östliche Religionen, über Karma und Wiedergeburt –, sondern als selbstbewussten, gewandten Moderator einer Jugendrunde. Ben galt
    als vorbestimmt für eine große Karriere in der Liga. Die Stellung seiner Mutter als höchste Eingeweihte Europas und der legendäre Ruf seines Vaters, der
    sein Eintreten für das Hju mit dem Leben bezahlt hatte und als Märtyrer der Liga galt, nahmen Ben in die Pflicht. Aron verlor sich in den schwellenden
    Flötentönen. Eigenartig, welche Erinnerungen in diesen letzten Tagen hervortraten. Bens Tod hatte verborgene Speicher von Gedanken und Gefühlen geöffnet.
    Aron versuchte sich auf das goldene Logo über der Bühne zu konzentrieren, sich tragen zu lassen von den Tönen der Flöte. Die Wahrheit hatte gesiegt, keine
    Hetze der Medien, kein Einfluss von Politikern und Kirchen, keine intellektuellen Kritiker hatten die Liga aufhalten können auf ihrem Weg in die Herzen der
    Menschen überall auf der Welt. Innerhalb weniger Jahre war dies geschehen, undenkbar eigentlich in dieser zerrissenen Zeit, in der Moden und Trends in
    raschem Wechsel vorüberflogen. Aron fühlte Stolz, dass er dem Weg des Hju auch in schwierigen Zeiten unbeirrbar gefolgt war, dass er der Liga sein Leben
    geweiht hatte. In solchen Augenblicken, wenn er im großen Versammlungsraum saß und den Klängen der Flöte lauschte, wurde ihm stets aufs neue bewusst, dass
    er zu den Auserwählten gehörte, zu jenen, denen es möglich war, in die inneren Kreise des Hju aufzusteigen, in ein Bewusstsein der Erleuchtung, das weit
    über alles hinausragte, das der Menschheit bekannt war. Er fühlte, wie Stolz und Rührung sich in ihm mischten und ein Gefühl auslösten, das man in der Liga
    als Angehobensein bezeichnete. Auch jetzt wollte sich dieses Glühen am Herzen einstellen, fast wie eine Gewohnheit, doch die Trauer um Ben überschattete
    und brach es. Seine Gedanken, die für Augenblicke abgeschweift waren, fielen zurück auf den unabänderlichen Schmerz der Gegenwart: Ben war tot.
    Die Flötenmusik verklang im Nichts. Der Lirep betrat die Bühne. Gemessenen Schrittes trat Peter Crapp in den Lichtkreis der Scheinwerfer. Sein silbergraues
    Haar leuchtete für einen Augenblick auf. Die erwartungsvolle Stille im Raum schien mit Händen zu greifen. Der Lirep, der Statthalter des Mahaguru, der
    oberste Repräsentant der Liga in einem länderübergreifenden Territorium, ein Eingeweihter der fünften Stufe. Obwohl das
Buch der Erleuchtung
jegliche Verehrung von Personen verpönte, schlug dem Lirep bei öffentlichen Auftritten tiefer Respekt entgegen, in dem sich Ehrfurcht und liebende Hingabe
    mischten. Crapps Frau Susan und die beiden
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