Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)

Titel: Der Name der Finsternis: Roman (German Edition)
Autoren: Franz Binder
Vom Netzwerk:
der Stimme, jedes Geräusch, das Knacken des Auflegens, zog wieder und wieder durch Arons Gedanken, in Bruchteile gespalten,
    zergliedert, als müsse sich aus den Stücken ein neuer Sinn ergeben, eine Erklärung, eine Deutung. Gehetzt war die Stimme, und doch von matter Heiterkeit,
    angespannt, als sie sagte, es gebe viel zu erzählen, nervös, als sie nach kurzem, kaum merklichen Zögern vom alten Platz im Park sprach, müde auch,
    verhangen, zugleich durchdrungen von Herzlichkeit, aufgeregt wie vor etwas Neuem, das Ben entdeckt und das ihn begeistert hatte. Seine Stimme war hohl und
    kraftlos, erregt und fiebernd, alles zugleich und doch nichts davon.
    Arons Gedanken verhakten sich, suchten, bohrten, doch fanden nichts als die wenigen Worte im unsicheren Licht wechselnder Auslegungen. Aron versuchte, sich
    an die wenigen Dinge zu klammern, die gewiss schienen, doch auch sie schwankten im Strom der Gedanken, bröckelten, verschwammen zu weichen, fließenden
    Schattenmustern. Ben musste gleich nach seiner Ankunft angerufen haben, vielleicht vom Flughafen, denn seine Worte waren umspült gewesen von dumpfem Lärm,
    von undeutlichem Stimmengewirr. Um Minuten zu spät hatte er angerufen; Aron war zum Laufen in den Park gegangen an diesem Morgen, der etwas Sonne
    versprach, seit Langem wieder klares, helles Licht, ausgerechnet am Tag Bens überraschender Rückkehr. Mittags erst hatte Aron das Band abgehört, hatte
    sofort nach dem Hörer gegriffen, um in Bens Zimmer anzurufen. Ben hatte im letzten Trimester das Wohnheim der Akademie verlassen, ein ungeschriebenes
    Gesetz brechend, war ausgezogen, weil er die Stimmung dort nicht mehr ertrug, die Einengung durch die sogenannten Gleichgesinnten, die heimliche
    Überwachung. Das vergebliche Läuten des Telefons in Bens Zimmer, dem winzigen, von Büchern, Platten und Noten überfüllten Raum. Immer wieder das Abrufen
    der gespeicherten Telefonnummer, das monotone, frustrierende Tuten. Unzählige flüchtige Erklärungen: Vielleicht schläft er. Der Flug war anstrengend.
    Vielleicht ist er ausgegangen. Vielleicht hat man ihn ins Zentrum bestellt. Man hält ihn auf, stellt Fragen, lädt ihn zum Essen ein. Trotz seiner
    Müdigkeit. Man denkt im Zentrum nicht an solche Dinge, ist gewöhnt, dass Atmas nach langen Reisen sofort in Besprechungen hetzen, Vorträge halten. Es gilt
    als selbstverständlich, dass persönliche Bedürfnisse zurückstehen müssen, wenn es um Belange der Liga geht. Warum war Ben überhaupt schon zurück, zwei
    Wochen früher als geplant? War er krank geworden in den Tropen? Hatte er Schwierigkeiten bekommen in der Mission? Alles hatte Aron sich ausgemalt, nur
    nicht das eine, schreckliche, das einfach nicht möglich war, das keine Wirklichkeit besaß in seiner Vorstellung.
    Endlich die Lösung: Ein Anruf aus dem Zentrum. Erst umständlich höfliches Abtasten, Vorbereiten, schließlich die Nachricht: Ben ist tot. Ein Unfall,
    nachdem er von einer Besprechung im Zentrum fortgegangen war. Gleich am Vormittag seiner Ankunft. Direkt auf der Straße vor dem Zentrum. Vor ein Auto
    gelaufen. Den Fahrer trifft keine Schuld. Ben wahrscheinlich im Gehen eingeschlafen. Der lange Flug. Die Überanstrengung. Die Zeitverschiebung. Es war der
    unbegreifliche Wille des Hju. Tröstliche Worte, die ungehört hinter einem herabfallenden Vorhang von Ungläubigkeit und Bestürzung verschwanden. Ben tot.
    Tot. Wie eine Wand war dieser Gedanke, eine unüberwindbare Mauer, an die Arons Gedanken unausweichlich stießen, wenn sie das Labyrinth ihrer sinnlosen
    Deutungen und Konstruktionen durchmessen hatten. Ben ist tot. Aron krallte seine Nägel in das morsche Holz der Bank, um die Wirklichkeit des Parks
    zurückzuzwingen, um der unbarmherzigen Walze seiner Gedanken zu entrinnen. Unter dem Nebel des Grübelns aber ruhte ein Block der Lähmung, den keine
    Anstrengung zu bewegen vermochte, kein Erschrecken, keine Trauer.
    Aron versuchte, ihn durch Erinnerungen zu lösen. Diese Bank war ihr Lieblingsplatz im Park gewesen, ein hervorragender Ort für die Meditation, vor allem,
    wenn der vom Dach herabtriefende Regen einen Vorhang zauberte und das Wasser eine kreisförmige Rinne in den Kies wusch, einen magischen Zirkel des
    Schutzes, wie in den Legenden der uralten Adepten in den Comics der Liga. Ein vorzüglicher Platz zum Lesen, zum Studieren, zum Kontemplieren der Worte aus
    dem
Buch der Erleuchtung
, zum Sprechen auch, zum Sichverlieren in der Vertrautheit mit Ben, die keine Angst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher