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Der Name Der Dunkelheit

Titel: Der Name Der Dunkelheit
Autoren: Daniel Scholten
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Außerdem roch es nach Staub. Als die schwache Deckenlampe zum zwanzigsten Mal erlosch, stand sie auf. Inzwischen fand sie den Schalter auf Anhieb. Sie setzte sich wieder und seufzte. An Hausbesuche war sie noch nicht gewöhnt.
    Snæfríður stammte aus Island und hatte bei der Wirtschaftskriminalität gearbeitet. Im vorletzten Herbst hatte sich diese Kombination mit einem Schlag als äußerst aufreibend herausgestellt. Ihre Landsleute hatten jahrelang in Zentralskandinavien gehaust wie Wikinger. Kaufhausketten, Zeitungsimperien und Werften hatten sie in Dänemark und Schweden gekauft und alles mit sich in den Abgrund gerissen. Vom ersten Tag der Finanzkrise an hatte sich Snæfríðurs Berufsleben dramatisch verändert. Heiß begehrt von allen Behörden, hatte sie zunächst geglaubt, es ginge mit ihrer Karriere nach oben, bis sie begriff, dass es in Wahrheit nach unten ging. Als sie im Frühjahr eine Fremdsprachenkorrespondentin des Wirtschaftsministeriums zu werden drohte, hatte sie sich bei Cederström beworben. Der hatte sie zwar bei der Reichsmordkommission aufgenommen, jedoch umgehend zu einer mehrmonatigen Ausbildung in Verhörtechnik nach Amerika geschickt. Von dort war sie erst vor kurzem heimgekehrt und
in ihrer neuen Abteilung daher eine blutige Anfängerin, die bei jedem Schritt zögerte.
    Endlich öffnete unten im Erdgeschoss jemand die Tür. Snæfríður hörte Schritte im Korridor. Gummisohlen quietschten auf dem alten und glattgelaufenen Steinboden. Als nach fünf Schritten ein Stöhnen bis hinauf zu ihr in die vierte Etage drang, war sie sich sicher, dass es ihr Kollege Henning Larsson war. Er hatte soeben entdeckt, dass es keinen Aufzug gab.
    Sie lächelte vor sich hin und blieb sitzen. Die Schritte und das Ächzen kamen immer näher.
    »Heute ist nicht mein Tag!«, stöhnte Henning Larsson auf den letzten Stufen. »Das kann ich jetzt schon sagen, obwohl ich noch nicht lange auf den Beinen bin.« Er sank mit seinem massiven Körper neben ihr auf den Treppenabsatz und keuchte. »Ist es diese Tür da?«
    Snæfríður nickte und zauberte den Schlüssel hervor.
    »Erst trinken wir unseren Kaffee.« Er hatte zwei Becher dabei, die er vorne an der Ecke gekauft haben musste. Sonst hatte heute alles geschlossen. »Ganz schön heruntergekommen hier.«
    Das stimmte. Ein gräulich glänzender Schleier lag in allen Winkeln.
    »Wartest du schon lange?«
    »Eine Viertelstunde vielleicht. Es war ein wenig unheimlich, weil es so still ist.«
    »Das ist an Werktagen anders. Da wackeln hier die Wände, wenn draußen die Lastwagen vorbeirasen.«
    Das Haus stand am schmutzigen Ende der Långholmsgatan kurz vor der Brücke. Wegen des starken Verkehrs war die rote Farbe der Fassade von Ruß bedeckt.
    »Für mein letztes Stündchen hätte ich mir auch ein hübscheres Plätzchen gesucht«, fand Henning irgendwann.
    Snæfríður hatte genau dasselbe gedacht. Henning konnte in
den Gedanken anderer Menschen lesen wie im Sportteil des Abendblatts. Er war von so enormer Statur, dass Snæfríður ihn bei ihrer ersten Begegnung darauf angesprochen hatte. Er habe sich vor einem Vierteljahrhundert in den Polizeidienst gezwängt wie eine Dogge in einen Kaninchenbau. Und wenn man einmal drinsteckte, bekam einen niemand mehr heraus.
    Henning war dreiundfünfzig. Ohne jeden Ehrgeiz und ohne jedes Zutun, wie er immerfort betonte, hatte er es von der Södermalmer Maria-Wache bis zum stellvertretenden Kommissar der Reichsmordkommission geschafft. Soweit Snæfríður es bis jetzt beurteilen konnte, bestand seine Ermittlungsmethode ausschließlich aus unruhigen Gefühlen in der Magengegend, was in seinem Kopf aus heiterem Himmel Ahnungen auslösen konnte, mit denen Henning signifikant über dem Zufallsdurchschnitt lag. In diesem Jahr hatte er die Reichsmord als Kommissar geleitet, während ihr eigentlicher Leiter Cederström seine Arbeitszeit für die Erziehung seiner kleinen Tochter auf ein Viertel gesenkt hatte und nur für gelegentliche Unterschriften vorbeigekommen war. Formal galt Cederström immer noch als Voruntersuchungsleiter.
    »Cederström«, knurrte Henning Larsson in diesem Moment. »Wenn der noch einmal etwas unterschreibt, kann er was erleben.«
    Die Unterschrift war der Grund, weshalb sie beide hier am frühen Morgen des Weihnachtstags auf einer schäbigen Treppe in der Långholmsgatan saßen und auf eine grüne Tür starrten. Henning war nach einem beunruhigenden Anruf des Kriminaldienstes noch früher an diesem Morgen aus
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