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Der Nachtelf (German Edition)

Der Nachtelf (German Edition)

Titel: Der Nachtelf (German Edition)
Autoren: Markus Tillmanns
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weil ihre Bedenken so folgenlos blieben. Konnte es denn der Wille der Himmlischen sein, dass sie in ihrem Amt versagte? Was, wenn nicht das göttliche Paar dahinter steckte, sondern Sagard und Kalunga, die Dämonen des Abgrunds? Sie bezweifelte doch sehr, dass ein einfacher Tyrtalla-Anhänger – sei er gesegnet oder nicht – sie davor schützen konnte.
    »Ihr findet«, setzte Heidugun fort, »in dieser Schriftensammlung zuoberst einen hässlichen Vorfall, der sich heute Morgen im Königspalast ereignete. Unglücklicherweise wurden dort drei Ruptu ermordet aufgefunden.«
    Mühsam drängte Dadalore ihre eigenen Sorgen beiseite. Ihr dämmerte, welche Ausmaße dieses neue Problem hatte. »Im Alabasterpalast?«
    »Eben dort.«
    »Aber wenn dort ein Mörder unbemerkt ein- und ausgehen kann, so ...«
    »... haben wir es mit einer direkten Bedrohung der Sicherheit König Gowofreds zu tun«, bestätigte der Zauberer. »Ich brauche Euch nicht eigens darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Adamant-Fall handelt.«
    Dadalore nickte. Die höchste Sicherheitsstufe war mit höchster Geheimhaltung verbunden. Argwöhnisch blickte sie um sich. Es war so laut hier. Niemand schien von ihrer Unterhaltung besondere Notiz zu nehmen. Die Mappe vor ihr war brisant. Der Oberste Staatsschamane hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen und die Hände über dem Bauch gefaltet, als genieße er bloß die Sättigung.
    Gleichzeitig erschien ein Bediensteter und stellte Dadalores Teller neben die Mappe. Ihr Stelzvogel im Teigmantel. »Danke«, sagte sie völlig ohne Appetit. Die Sicherheit des Königs war in Gefahr. Es war, als wäre ihr schlimmster Albtraum Wirklichkeit geworden: Sie sollte nicht nur das ungeliebte Amt behalten, sondern eine Verantwortung tragen, die auch stabilere Gemüter in den Freitod triebe.
    »Esst nur«, sprach Heidugun, »Ihr seht ein wenig blass aus.« Er hatte die Augen noch immer geschlossen.
    »Sollten wir diese Sache nicht besser an einem ... etwas ruhigeren Ort besprechen?«, fragte Dadalore gepresst.
    Der Schamane ruhte in sich. »Stille Gassen lassen selbst uninteressierte Menschen lauschen.«
    Die Capitalobservatorin sah auf die Ledermappe hinab. Sie brachte es nicht über sich, sie zu öffnen. Da war wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie warf einen raschen Blick in die Runde. Die anderen Gäste schienen ganz mit ihrem Essen und ihrer Unterhaltung beschäftigt. Niemand blinzelte unauffällig in ihre Richtung. Vielleicht sollte sie den Obersten Staatsschamanen auf ihre Empfindung ansprechen. Andererseits würde dies nur den Eindruck verstärken, dass sie überspannt reagierte. Sie verlegte sich stattdessen darauf, lustlos an ihrem Essen herum zu knabbern.
    Heidugun ließ derweil erkennen, dass er nicht allein der Verdauung fähig war. Er erwies sich als charmanter Unterhalter, den sie anderntags durchaus zu schätzen gewusst hätte. Heute aber rauschten seine Schilderungen amüsanter Begebenheiten in der Königlichen Zauberschule nur an ihr vorbei.
    Als sie den letzten Bissen hinunter zwang, verabschiedete er sich. Offenbar hatte er den Moment genau abgepasst. Er sprach noch ein paar aufmunternde Worte, legte genug Münzen für ihre beiden Mahlzeiten auf den Tisch und nahm Kurs auf den hinteren Ausgang.
    Dadalore hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu stürzen. Sie hatte sich vor diesem Gespräch ausgemalt, mit ihrer Bitte um Amtsenthebung schlimmstenfalls zu scheitern. Aber niemals, niemals hätte sie erahnt, wie düster sich ihre Zukunft nun wirklich abzeichnete. Ihre Finger spielten mit dem goldenen Affen.
    Das Figürchen drehte sich hin und her, es glitzerte und funkelte wie das Licht des Himmlischen selbst. Da spiegelte sich für einen Augenblick etwas, das Dadalore den Atem anhalten ließ: der Blick zweier Augen. So schnell das Bild aufgetaucht war, so schnell verschwand es auch wieder in Lichtreflexen. Die Sklavin merkte sofort auf. Eine größere Menge Gäste hatte sich gerade erhoben, um den Dritten Höcker zu verlassen. Sie sah bürgerliche Wohlstandsbäuche und üppige Damen im Festtagsburnus. Eine Gruppe von Neuankömmlingen mit weißen Dienstgewändern und Sklavenringen strömte herein und drängte in die Lücken. Die Fratze, die sie einen winzigen Augenblick verzerrt in dem Affen gesehen hatte, konnte sie nicht ausmachen. Verdammtes Durcheinander! Sie war sicher, dass es eine Frau war, eine stark geschminkte Frau.
    Also wurde sie doch beobachtet. Sie hätte den Obersten Staatsschamanen
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