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Der Musentempel

Der Musentempel

Titel: Der Musentempel
Autoren: John Maddox Roberts
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gehen.«

II
    Zwei Monate lang lebte ich das wunderbar müßige Leben eines römischen Offiziellen zu Besuch in Ägypten. Ich unternahm die unvermeidlichen Touren zu allen berühmten Sehenswürdigkeiten: Ich sah die Pyramiden und den riesigen Kopf, der angeblich auf einem ebenso gewaltigen Löwenkörper ruht. Ich sah die Statue von Memnon, die die aufgehende Sonne mit einem melodischen Ton preist. Ich besichtigte ein paar äußerst seltsame Tempel und lernte ein paar äußerst merkwürdige Priester kennen. Wohin ich auch ging, überschlugen sich die königlichen Offiziellen vor Unterwürfigkeit, bis ich anfing zu glauben, sie würden zu meinen Ehren auch kleine Statuen aufstellen. Vielleicht haben sie das ja getan.
    Wenn man Alexandria erst einmal verlassen hat, kommt man ins richtige Ägypten, das Ägypten der Pharaonen. Dieses Ägypten ist ein eigenartiger und unwandelbarer Ort. In jedem Nomos sah man funkelnagelneue, von den Ptolemäern errichtete Tempel für einen der Götter der Vorzeit. Eine oder zwei Meilen weiter traf man auf einen praktisch identischen Tempel, nur daß der dann zweitausend Jahre alt war. Der einzige Unterschied bestand in der etwas ausgebleichten Farbe des älteren Tempels.
    Die großen Prozessionstempel von Karnak haben gemeinsam das Ausmaß einer ganzen Stadt; die gewaltigen Hallen mit ihrem Wald von Säulen, massiv und unglaublich hoch, sprengen jede Vorstellungskraft. Jeder Quadratzentimeter ist mit Eingravierungen in jener schwachsinnigen Bilderschrift verziert, die die Ägypter so entzückt. Über Jahrhunderte hatten die Pharaonen und Priester Ägyptens die Bevölkerung angetrieben, die absurden Felsenhaufen zu finanzieren und zu erbauen, offenbar ohne daß sich auch nur ein widerwilliges Murmeln erhoben hätte. Wer braucht Sklaven, wenn die Bauern so brav sind? Die Italiker hätten das Ganze in ein Geröllfeld verwandelt, bevor diese Säulen Kopfhöhe erreicht hätten.
    Es gibt keine angenehmere Art zu reisen als mit einer Barkasse auf dem Nil. Sein Wasser hat nichts von der bedrohlichen Unwägbarkeit des Meeres, und das Land ist so schmal, daß man praktisch alles vom Fluß aus sehen kann.
    Wenn man sich eine Meile vom Ufer entfernt, steht man in der Wüste. Bei Vollmond flußabwärts zu treiben, ist eine Erfahrung wie aus einem Traum, die Stille nur durch das gelegentliche Brüllen der Flußpferde zerrissen. In solchen Nächten glitzern die alten Tempel und Grabstätten wie Juwelen im Mondlicht, und es ist leicht, sich die Welt so vorzustellen, wie die Götter sie einst gesehen haben, als sie unter den Menschen wandelten.
    Ich habe die Erfahrung gemacht, daß auf Phasen der Unbeschwertheit und der Ruhe stets Zeiten des Chaos und der Gefahr folgen, und die ausgedehnte Idylle auf dem Fluß bildete darin keine Ausnahme. Meine Zeit des sorgenfreien und müßigen Vergnügens sollte ein Ende finden, sobald ich nach Alexandria zurück kehrte.
    In Ägypten begann der Winter. Und ungeachtet dessen, was viele Leute sagen, gibt es auch in Ägypten einen richtigen Winter. Der Wind wird kühl und böig, und an manchen Tagen regnet es sogar. Meine Barkasse erreichte das Nildelta und nahm dann den Kanal, der das satte Marschland mit Alexandria verbindet. Es ist herrlich, sich in einem Land aufzuhalten, in dem man nie weit laufen muß und in dem es keine steilen Hänge zu überwinden gilt.
    Ich verließ die Barkasse an einem der Hafendocks und mietete mir für den Rückweg zum Palast eine Sänfte. Sie wurde nur von bescheidenen vier Trägern getragen, aber selbst von ebener Erde aus betrachtet, ist Alexandria noch eine sehenswerte Stadt.
    Unser Weg führte uns an den makedonischen Kasernen vorbei, und ich befahl den Trägern stehen zu bleiben, um mir den Laden in Ruhe anzusehen. Im Gegensatz zu Rom gab es in Alexandria keinen Bann für Soldaten innerhalb der Stadt. Bei den Diadochen hatte es sich immer um fremde Despoten gehandelt, die es zu keiner Zeit für unpassend hielten, die Einheimischen daran zu erinnern, wer die Macht hatte.
    Die Kaserne bestand aus zwei Reihen von langgestreckten, dreistöckigen Gebäuden, die sich, durch einen Exerzierplatz getrennt, gegenüber standen. Wie zu erwarten waren die Gebäude prachtvoll, und die exerzierenden Soldaten absolvierten ihren Drill mit lobenswerter Zackigkeit, auch wenn ihre Ausrüstung aus römischer Sicht veraltet war. Einige von ihnen trugen massiv bronzene Brustharnische, wie sie sonst nur noch von römischen Offizieren getragen werden, andere
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