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Der Mord des Jahrhunderts - Collins, P: Mord des Jahrhunderts

Der Mord des Jahrhunderts - Collins, P: Mord des Jahrhunderts

Titel: Der Mord des Jahrhunderts - Collins, P: Mord des Jahrhunderts
Autoren: Paul Collins
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Guldensuppe, heute, 115 East Third Street.
    An seltsamen Geschichten hatte es dem Straßenblock an der Third Street zwischen First Avenue und Avenue A nie gemangelt: Am einen Ende hatte sich die Frau eines Klavierbauers vom Dach eines Gebäudes gestürzt, an dem anderen wohnte ein Mann, der vor Kurzem verhaftet worden war, weil er einem Wasserspringer dabei behilflich gewesen war, einen verbotenen Satz von der Brooklyn Bridge zu machen. Dem Springer war es dabei nicht anders ergangen als der Frau des Klavierbauers. Praktischerweise befand sich genau in der Mitte des Blocks das hilfsbereite Bestattungsinstitut von Franz Odendhal. Gewiss, selbst diesem Etablissement haftete etwas leicht Ehrloses an: Einer der Angestellten war unlängst mit der Frau des Blumenbinders durchgebrannt, was Kunden bei der Bestellung von Trauergebinden mitunter in Verlegenheit brachte. Ref 877 Ref 878 Ref 879
    Um zehn Uhr öffnete Franz Odendhal die Türen zu seinem Institut, und die Trauernden strömten hinein. Drinnen stand ein polierter Eichensarg, an dem eine Fotografie des gut aussehenden Masseurs mit Schnurrbart lehnte, den jedermann in der Stadt nun erkannte. Hinter dem Sarg ragte ein beinahe zwei Meter hohes Blumenarrangement auf, das seine acht Arbeitskollegen
aus dem Murray Hill Baths in Auftrag gegeben hatten. Die Blütenpracht stand für ein einziges Wort: KAMERAD. Inzwischen warteten so viele Menschen vor dem Institut, dass jedem etwa eine Sekunde Zeit gewährt wurde, um an dem Leichnam vorbeizuziehen. Es reichte gerade, um einen Blick auf die Blumen, das Bild und das Messingschild am Ende des Sarges zu werfen. Darauf stand der vollständige Name des Toten, den er selbst nie benutzt hatte:
    Christian W. Guldensuppe
Gestorben am 25. Juni 1897
Alter: 42 Jahre
    Ref 880
    Die Glasplatte, die Franz über den Sarg gelegt hatte, gab den Blick auf dessen Inneres frei: einen gesäuberten und sorgfältig gekleideten Mann in einem Anzug, die rechte Hand auf der Brust ruhend – als würde er sein nicht mehr schlagendes Herz schützen. Ref 881
    Der Leichnam hatte keinen Kopf.
    Bis zwei Uhr waren Zehntausende New Yorker an dem Toten vorbeigezogen, und Hunderte verweilten, um der Kutsche zu einer Fähre am Fuß der Houston Street zu folgen. Kurz darauf legte das wartende Boot von der Anlegestelle ab, um seine Fracht zum Lutherischen Friedhof jenseits des Flusses zu bringen. Und dort fand Guldensuppe, so lange nach jenem schicksalhaften Anruf im Murray Hill Baths eines warmen Juninachmittags, schließlich das neue Zuhause auf Long Island, das Mrs Nack ihm versprochen hatte.
     
    Die Anschuldigungen seien schrecklich unfair, ereiferte sich Mrs Nack gegenüber der Reporterin für die Frauenseite des Journal , die sie am ersten Weihnachtsfeiertag besuchen kam. Nachdem sie im ersten Prozess als Kronzeugin aufgetreten
war, wartete sie nun immer noch auf ein Urteil, von dem sie hoffte, dass es ein vermindertes Strafmaß vorsah. In der Zwischenzeit wollte sie die Welt davon in Kenntnis setzen, dass sie nicht die geringste Schuld an dem Verbrechen trug. Ref 882
    »Dann war Herman Nack also grausam?«, fragte die Reporterin.
    Mrs Nack blickte auf und brach in Tränen aus.
    »Wäre er nicht gewesen, wäre ich jetzt nicht hier«, schluchzte sie. »Ich wäre immer noch mit ihm zusammen, denn ich habe ihn geliebt. Hätte ich das nicht, hätte ich ihn nie geheiratet, denn meine Familie mochte ihn nicht. Aber er sagte, dass uns das nicht kümmern sollte – wir könnten in dieses neue Land gehen, und er würde gutes Geld verdienen, und ich könnte einen neuen Beruf erlernen, und wir würden reich werden.«
    »Wir haben beide gearbeitet, aber reich sind wir nicht geworden. « Sie tupfte sich die Augen trocken. »Stattdessen wurden wir immer ärmer.«
    Und nun, sagte sie seufzend, sei sie hier. Vor Wochen schon hatte man Thorn nach Sing-Sing gebracht, und jetzt war Weihnachten, und sie war immer noch im Queens County Jail, wurde immer noch von den Zeitungen angefeindet. Obgleich sich die Rechtsexperten einig waren, dass Mrs Nack durch ihr Geständnis dem elektrischen Stuhl entrinnen würde, nannte sie der Eagle weiterhin den »teuflischen Kopf« des Falles, und Howes Kanzlei äußerte sich gegenüber dem Journal sogar noch unverblümter. Ref 883
    »Man sollte sie zusammen mit Thorn auf den elektrischen Stuhl setzen«, stieß ein Mitarbeiter Howes hervor, bevor er schnell hinzufügte, » wenn Thorn darauf gehört.« Ref 884
    Für Mrs Nack aber, die ihre Stunden
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