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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
Autoren: Rick Yancey
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ruckweise, als er an der Zange zog. »Klemmt! Ich brauche beide Hände. Nimm den Meißel und halt gut fest, Will Henry. Nimm beide Hände zu Hilfe, wenn du musst, ungefähr so. Lass ihn bloß nicht wegrutschen, sonst verliere ich meine Hände! Ja, so ist’s gut. Guter Junge. Ahhhh!«
    Er taumelte vom Tisch weg, ruderte mit der linken Hand, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, hielt in der Rechten die Zange und in der Zange eine verhedderte Perlenschnur mit rosa Blutflecken darauf. Als er wieder sicher stand, hielt der Monstrumologe seinen schwer errungenen Preis hoch.
    »Wusste ich’s doch!«, rief er laut. »Da haben wir unsere Schuldige, Will Henry. Er muss sie ihr in seiner Raserei abgerissen haben; sie blieb ihm im Hals stecken, und er ist daran erstickt.«
    Ich ließ den Meißel los, trat vom Tisch zurück und starrte auf die rosa Schnur, die von der Hand des Doktors baumelte. Das Licht tanzte über ihren Überzug aus frischem und geronnenem Blut, und ich merkte, wie sich die Luft um mich herum zusammenzog und sich weigerte, meine Lunge ganz zu füllen. Meine Knie begannen unter mir nachzugeben. Ich sank auf den Hocker und rang um Atem. Der Doktor bemerkte meinen Zustand nicht; er ließ die Halskette in eine Schale fallen und rief nach der Schere. Zum Teufel mit ihm! , dachte ich. Soll er sich seine Schere doch selbst holen! Er rief noch einmal, mit dem Rücken zu mir, die Hand ausgestreckt, die blutigen Finger fordernd gekrümmt. Mit einem schaudernden Seufzer erhob ich mich vom Hocker und drückte ihm die Schere in die Hand.
    »Eine einzigartige Kuriosität«, murmelte er, während er entlang der Mitte des Totenhemds des Mädchens nach unten schnitt. »Anthropophagen sind nicht einheimisch in Amerika. Nord- und Westafrika, die Caroli-Inseln, aber nicht hier. Niemals hier!«
    Behutsam, beinah zärtlich durchtrennte er den Stoff und legte die perfekte Alabasterhaut des Mädchens frei.
    Dr. Warthrop drückte das Ende seines Stethoskops auf ihren Bauch und horchte gespannt, während er das Instrument langsam auf ihre Brust zubewegte, dann wieder nach unten, bis er dort verweilte, wo er begonnen hatte, die Augen geschlossen und kaum atmend. So verharrte er mehrere Sekunden lang wie erstarrt. Die Stille war dröhnend.
    Endlich zog er sich mit einem Ruck das Stethoskop aus den Ohren. »Wie ich vermutet habe.« Er deutete auf den Arbeitstisch. »Ein leeres Glas, Will Henry! Eins von den großen!«
    Er beauftragte mich, den Deckel zu entfernen und den offenen Behälter neben ihm auf den Boden zu stellen.
    »Behalte den Deckel in der Hand, Will Henry!«, wies er mich an. »Wir müssen das hier schnell durchführen. Skalpell!«
    Er beugte sich über seine Aufgabe. Sollte ich gestehen, dass ich wegschaute? Dass meine Willenskraft nicht reichte, um meine Blicke zu zwingen, auf dieser glänzenden Klinge zu bleiben, als sie in ihr makelloses Fleisch schnitt? Trotz all meinem Verlangen, ihn zufriedenzustellen und mit meiner stählernen Entschlossenheit als guter Fußsoldat im Dienste der Wissenschaft zu beeindrucken, konnte jedoch nichts mich dazu bringen, mir anzusehen, was als Nächstes kam.
    »Sie sind keine Aasfresser von Natur aus«, sagte er. »Anthropophagen bevorzugen frische Beute, doch es gibt Triebe, die mächtiger als der Hunger sind, Will Henry. Das Weibchen kann sich fortpflanzen, aber es kann nicht gebären. Ihm fehlt eine Gebärmutter, verstehst du, denn diese Stelle seiner Anatomie ist an ein anderes, wichtigeres Organ vergeben: das Gehirn … Hier, nimm das Skalpell.«
    Ich hörte ein leises Glucksen, als er die Faust in den Einschnitt stieß. Seine rechte Schulter kreiste, während seine Finger im Rumpf des jungen Mädchens forschten.
    »Aber die Natur ist erfinderisch, Will Henry, und erstaunlich unerbittlich. Das befruchtete Ei wird in den Mund des Männchens ausgestoßen, wo es in einer Hauttasche ruht, die sich entlang des Unterkiefers befindet. Dem Männchen bleiben zwei Monate, um einen Wirt für den Nachkommen zu finden, ehe der Fötus aus seinem schützenden Beutel bricht und es ihn hinunterschluckt oder daran erstickt … Ah, das muss es sein. Aufgepasst jetzt mit dem Deckel!«
    Sein Körper spannte sich an, und für einen Moment wurde alles still. Dann, mit einem einzigen dramatischen Schwung, riss er eine sich windende Masse aus Fleisch und Zähnen aus dem aufgeplatzten Magen, eine puppengroße Ausgabe der Bestie, die um das Mädchen gewunden war, umhüllt von einem milchig weißen Sack,
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