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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge
Autoren: Julius Stettenheim
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dies merken, so revanchiere man sich dadurch, daß man von der Schönheit einer andern Frau spricht.
    Einmal tanze man mit der Schwiegermutter des Ballgebers. Das ist die Gewerbesteuer.
    Während der Ruhepausen im Kotillon suche man seine Dame bestens zu unterhalten. Von den Gegenständen, welche dabei thunlichst zu vermeiden sind, nenne ich den Käse, den Lustmord, den Zinsfuß, die ägyptische Augenkrankheit, die Müllabfuhr, die Klauenseuche und das Hühnerauge. Auch die Wanderraupe berühre man nur flüchtig.
    Beim Dessert strenge man sich an, dem Vielliebchenessen [Fußnote: [die Sitte, Zwillingsfrüchte oder die in Krachmandeln etc. vorkommenden Doppelkerne geteilt zu essen, worauf die Beteiligten sich beim Wiedersehen mit »Guten Morgen, Vielliebchen« zu begrüßen haben und derjenige, der dies zuerst tut, vom andern ein Geschenk erwartet.]] auszuweichen. Die Damen gewinnen immer, und dann weiß man nicht, was man nicht schenken soll.
    Wenn man eine größere Reise anzutreten gedenkt, so verschweige man dies namentlich den Damen, weil diese bekanntlich bitten würden, ihnen von allen Stationen eine bunte Postkarte zu senden. Da man dies natürlich verspräche und sicher nicht thäte, so ärgert man sich später, daß man es versprochen hat.
    Die Ballmutter soll man in Ehren halten. Es verkörpern sich in ihr die Mutterliebe, die Sorge und die Selbstlosigkeit. Keiner Parteien Gunst und Haß vermochte ihr Charakterbild in der Geschichte der Menschheit ins Schwanken zu bringen. Sie mag vielleicht auf den Bällen häufig in die Notwendigkeit versetzt werden, Verkehrsstörungen herbeizuführen, indem sie sich hier und dort in den Weg stellt, um sich zur Geltung zu bringen und allen Anwesenden klar zu machen, daß sie nicht zum Vergnügen erschienen sei, am allerwenigsten zum Vergnügen der jungen Männer, aber das erhöht ihre Würde. Selbst wenn sie, noch in den Jahren unter dem Äquator des Lebens, tanzt, so soll sich der Ballgast sagen, daß sie dies nur aus Liebe zu ihren Töchtern thut. Sie mischt sich gewissermaßen in der Maske der Tänzerin unter die Menge wie ein Kriminalbeamter, der sich auf der Jagd nach einem Gesuchten vermummt hat, um auf die Spur desselben zu kommen. Der junge Mann, der sich über sie beklagt oder lustig macht, verrät dadurch einen gänzlichen Mangel an Gemüt, denn er trifft nicht nur damit vielleicht seine eigene Mutter, er bekundet auch den Mangel an Talent, das Ballleben von seiner ernsten Seite zu betrachten. Die Ballmutter ist der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Während alles um sie wechselt, bleibt sie unverändert. Sie ist ewig. Die jungen Männer werden älter, entfremden sich dem Tanz, verheiraten sich, werden den Frauen uninteressant und werden Philister, die jungen Mädchen werden durch die Ehe vom Ballboden rasiert, verschwinden in irgend einen Beruf, blühen zu Mauerblümchen heran und verstecken endlich Hals und Arme in die diskretesten Fabrikate der Textilindustrie, jede Ballsaison bringt neue Menschen, wie sie neue Walzer und neue Eisnamen bringt, Tanzgeschlechter kommen und verschwinden, Assessorenfluten wälzen sich durch die Säle, neue Schwärme von Backfischen tauchen auf und werden von der Zeit wieder verschlungen, aber die Ballmutter bleibt, unberührt von Hitze und Langeweile, im Sturm der Pflicht wetterfest geworden, achtunggebietend durch die Patina der Erfahrung, die sich in jedem ihrer Blicke bemerkbar macht, stolz im Bewußtsein erfüllter Pflicht, ängstlich durch ihre Kenntnis von der Verruchtheit des männlichen Geschlechts und immer Mutter, zu jedem Opfer und zu jeder Liebesthat bereit. Deshalb soll man sie in Ehren halten. Dies soll in erster Linie der junge Mann, der nur zu gern geneigt ist, bei diesem ehrenvollen Titel dumm zu lächeln. Er soll wenigstens aus Klugheit den Respekt nicht vernachlässigen. Denn die Ballmutter kann auch furchtbar werden, wie jedes Geschöpf, das ein Junges zu verteidigen gezwungen ist. Ein junger Mann hat gar keinen Begriff davon, wie er von einer Ballmutter durchschaut wird, die mit ganz besonders scharfen Röntgenstrahlen sieht. Wird er von einer Ballmutter vernichtet, so ist es seine eigene Schuld, ich habe ihn gewarnt.
    Bekommt man beim Tanz einen derben Tritt auf den Fuß, so habe man keine Hühneraugen.
    Schreibt eine Kotillontour Damenwahl vor und wird man von keiner Dame aufgefordert, so ist dies kein Kompliment, aber man bemerke es nicht. Man ist vielleicht, wie es in höheren Töchterschulen
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