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Der Moderne Knigge

Der Moderne Knigge

Titel: Der Moderne Knigge
Autoren: Julius Stettenheim
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Steuer angestellte Dienstpersonal kann niemals wechseln, obschon es ja das ganze kleine Geld hat.
    Daß im Laufe des Abends musiziert wird, ist leider zu erwarten. So ein Klavier ist rasch geöffnet, und die Dame, welche es pauken gelernt hat, ist immer in der Nähe. Sträubt sie sich, so traue man ihr nicht. Es ist eine nur zu kurze Täuschung. Sieh, da sitzt sie schon und streift die Handschuhe ab, die unsere letzte Hoffnung waren. Auch eine Meistersingerin oder ein Meistersinger ist bald gefunden. Der Umstand, daß diese sich nicht einmal der Handschuhe zu entledigen haben, macht sie bedeutend gefährlicher als die Tastenhandwerker.
    Man beklage sich nicht über die Wahl der Musik- und Gesangsnummern, so wenig sie zu der dem Zeitvertreib gewidmeten Ballnacht passen mögen. So viel ich mich erinnere, habe ich in unzähligen mitternächtlichen Stunden den Vater durch Nacht und Wind mit seinem Kinde reiten hören müssen. Ich bin in großen Gesellschaften immer etwas ängstlich, und es ist mir daher um Mitternacht ein heiteres Lied viel angenehmer als eine Gespenstergeschichte. Es ist aber merkwürdig, mit welcher Schadenfreude meist kleine oder größere Lieder gesungen werden, die mit irgend einem Tode enden. Dagegen im Nebenzimmer anzurauchen, ist schon schwer, aber wenn man im Saal in der Nähe des Flügels sich befindet und das in Musik gesetzte Ableben angesichts des mit gefurchter Stirn und weit aufgerissenen Augen Vortragenden mitmachen muß, so fühlt man so was wie eine Gänsehaut, es fällt einem ein, daß man irgend ein körperliches Leiden hat, und man möchte, wie der Hirsch nach dem Wasser, nach Udel schreien. Man glaube aber nicht, daß mein absichtlich herzloses Urteil über die Wahl der traurigen Liedertexte irgend etwas nützen wird. Nach wie vor werden die Gäste rücksichtslos in eine ernste Stimmung versetzt und mit der Macht der Töne auf die Nichtigkeit alles Irdischen aufmerksam gemacht. Alle Sänger und Sängerinnen scheinen sich einzubilden, oder uns einreden zu wollen, daß nur durch den Tod Leben in die Bude komme. Erst vor einiger Zeit war ich genötigt, eine Dame, welche am Flügel schon fast eine Stunde lang Tote in allen Tonarten hatte singen lassen, zu fragen, ob sie nicht vielleicht auch eine Geburt auswendig wisse, da dies die Gesellschaft erheitern würde. Nein, sie hatte in ihrer Notenmappe nur Selbstmord, Stimmen aus dem Jenseits, Tod an gebrochenem Herzen, langsames Hinsiechen in der Verlassenheit und die beliebtesten Arten des Ruhefindens im Grabe. Sonst war die Dame sehr umgänglich und lebenslustig, nur suchte sie gern ganze Gesellschaften zu verstimmen und zwar meist mit glänzendem Erfolg. Hier ist noch viel zu thun, die Diners und Ballkreise vor musikalischen Hausfriedensbrüchen zu schützen. Auch sollten namentlich Damen nur solche Lieder und Arien singen, welche ihnen der Gast wenigstens halbwegs glaubt. Ich habe aber nur zu häufig in der bekannten Meyerbeerschen Arie von Damen um Gnade flehen hören, deren Erscheinung auch nicht im entferntesten den Gedanken aufkommen ließ, daß ihr irgend jemand zu nahe getreten sein konnte. Ihr Schreien um Gnade machte vielmehr den Eindruck, als wäre sie einer Bedrängung gegenüber durchaus geneigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen. Und es war, als antworte ihr nach ihrer Gnadenarie der Applaus nichts als: Gewiß doch!
    Man applaudiere immer, wenn gesungen ist, denn wenn nicht applaudiert wird, so hat dies nur die Folge, daß weiter versucht wird, durch Gesang den Applaus zu erzwingen, und es wird auch gewöhnlich durchgesetzt.
    Keinenfalls bleibe man bis zum letzten Tanz, da später alle Garderobe bis auf einen Hohenzollernmantel und Helm fort zu sein pflegt.
    Im Saale behalte man immer den
Chapeau claque
unter dem Arm, bis dies lästig wird und man ihn fortlegt. In diesem Augenblick verschwindet er, aber man vermißt ihn erst, wenn man den Paletot angezogen hat und fortgehen will. Dann ziehe man den Paletot wieder aus und suche im Speise- und Tanzsaal. Wird noch getanzt, so werfe man einen Blick auf jeden Sessel, von dem sich eine Dame erhoben hat. Auf einem dieser Sessel pflegt man den Hut zu finden. Da die Dame längere Zeit auf dem Hut gesessen haben kann, so untersuche man den Mechanismus des Hutes nicht im Saal, da man ein zu dummes Gesicht macht, wenn der Hut nicht mehr springen kann, und ausgelacht wird, sondern man gehe hinaus und versuche, ihn im Vorzimmer oder im Korridor hutartig zu gestalten. Gelingt dies, so
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