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Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman
Autoren: Aufbau
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ihr über den Kopf habe rinnen lassen, sei aber auch zu gar nichts nutze gewesen.
    »Mein Gott! Heiliger Vater!«, rief deine Großmutter Flor entsetzt, als sie von dem Zwischenfall erfuhr. »Dieses Mädchen hat die Aufsässigkeit im Blut.«
    Ich biss mir auf die Lippen, um nicht zu lachen. Aber die Tita wusste genau, auf welcher Klaviatur sie spielen musste, um Flor zu besänftigen und sie sich wieder gewogen zu machen.
    »Tita«, ermahnte meine Frau die Kleine, »versprich mir, dass du damit aufhörst, Pater Alzamora zu verhöhnen.«
    »Ich werde mir Mühe geben, Mami.«

Tocopilla, vor 1920
    Ich war neunundsechzig Jahre alt. In der Nase hatte ich den stechenden Geruch angstschwitzender Leiber, meine Augen waren verbunden mit einem Stofffetzen, meine Hände mit einem Draht gefesselt, meine Kehle ausgetrocknet. Mein Herz raste, während die Gewehrsalven mit dem Rattern der Lokomotive verschmolzen. Später, im Flugzeug, krallten sich Dutzende Finger in meine nackte Haut, um mich über dem Meer abzuwerfen. Der Geist neigt dazu, das Grauen auszulöschen. Es durch etwas anderes zu ersetzen. Ich hörte den Gesang des Regens auf den Wellen eines aufgepeitschten Ozeans. Ich hörte das Lachen deiner Großmutter Flor. Und als das Licht der Pampa mich blendete, wusste ich, dass ich tot war.
    Ich hätte lieber bei der Gegenüberstellung mit López-Cuervo den Tod gefunden, aber Sofanor hat mir diese Genugtuung vorenthalten, hat mich in diesen Käfig auf dem Markt von Valparaíso gesperrt, um mich zu schützen. Als ich mich mit ihm messen wollte, verfügte der Schakal bereits über eine Menge Macht in Tocopilla. Dass der verfluchte Schurke diesen Posten bei den Carabineros bekam, war mit Sicherheit eine abgemachte Sache. Bei seiner feierlichen Amtseinführung hatten er und Carlos Ibáñez delCampo, der gerade zum Direktor der Kavallerie-Schule ernannt worden war, verschwörerische und verräterische Blicke ausgetauscht. Und ich fand es immer wieder auffällig, wie der junge Gott Alzamora dem Satan López-Cuervo Grausamkeiten durchgehen ließ, während er andere Pechvögel schon wegen geringfügiger Lappalien tadelte.
    Sehr bald gelang es López-Cuervo, von allen gefürchtet zu werden. Er war ein stämmiges Monster mit tiefer Stimme, berüchtigt wegen seiner Eigenart, auf Trockenfeigen herumzukauen: Den ganzen Tag spuckte er aus, und sein walrossartiger Schnurrbart bewegte sich dabei unentwegt auf und ab. Berüchtigt aber vor allem wegen seines herrischen Charakters. Niemand wagte es je, sich über seine Glatze lustig zu machen oder über seinen dicken Wanst, aus Furcht vor Repressalien. Ein Wort von ihm genügte, und schon waren alle aus dem Süden herbeigeholten Soldaten ihm zu Diensten. Fünfzehn bis an die Zähne bewaffnete Männer verfolgten jeden Christenmenschen, der wegen Diebstahls oder wegen einer Keilerei nach einer nächtlichen Sauftour oder wegen irgendwelcher anderen Verbrechen, die der Satan ihm anhängen wollte, auf der Flucht war. Freiwillige rissen sich darum, seine Befehle ohne Rücksicht auf Verluste auszuführen. Ohne sich um die Tageszeit oder den Hunger zu scheren, jagten sie dem Flüchtigen tagelang über die trostlosen Berge, durch die verborgensten Schluchten der Kordilleren nach, bis es gelang, ihn zu schnappen. Jeder huldigte dem Satan auf seine Art, denn besser, man war für ihn als gegen ihn.
    In jener Zeit sprang ich barfuß über die Steine, lief Hand in Hand mit meiner hübschen Petronila umher, aß im Haus ihrer Mutter, so dass man hätte behaupten können, ich wäre ein weiteres Kind der Familie. Ich wusste genau, wie sehr die Mutter ihre Tochter liebte, und ich war glücklich – bis der Bürgermeister eines Tages alle zu einem Fest versammelte, von dem ich nicht mehr zu sagen wüsste, ob es am Nationalfeiertag stattfand. Als Ehrengast geladen war, wie sollte es anders sein, der Satan in Person. Ich entsinne mich noch, dass all die Strolche mit den Sandalen, die von weit her angereisten Händler und die Mädchen aus dem Dorf herbeiströmten, angelockt von Musik und Tanz. Wir ließen uns in der Menge treiben, ich hatte die Petronila immer fest an der Hand. Plötzlich packte López-Cuervo mich bei der Schulter, so dass ich ihm in seine höllischen Augen blicken musste, und sagte:
    »Sehr hübsch, dein Mädchen, sehr hübsch, mal sehen, ob du sie mir dieser Tage nicht mal ausleihen kannst.«
    Mir stieg die heiße Wut ins Gesicht, als ich ihn so reden hörte. Mit meinen dreizehn oder vierzehn
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