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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis
Autoren: Thomas Raab
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nicht vom Fleck, dann betritt er aufgewühlt die Klinik und landet in Räumlichkeiten, die ihm nichts von seiner Anspannung nehmen, ganz im Gegenteil. Denn hat man das Erdgeschoss und somit die restlos überfüllte 24-Stunden-Ambulanz ungeschoren hinter sich gebracht, was klarerweise nur funktioniert, wenn sie bereits alle zu Gast waren, die Masern, Mumps, Scharlach, Röteln, Windpocken und wie sie sonst noch alle heißen, landet man in den einzelnen Abteilungen dieses Hauses. Und egal wie farbenfroh die Wände sind, egal wie viele Girlanden, Lampions und Tierposter herumhängen, egal wie freundlich sich die Angestellten auch geben, die meisten der Patienten in ihren bunten Pyjamas haben sichtlich mit dem Lachen so ihre Schwierigkeiten, manche haben zur Zeit auch ihre Schwierigkeiten mit dem Leben, und manche haben Schwierigkeiten mit dem Leben, ohne jemals erlebt haben zu dürfen, wie unbeschwert es sich anfühlen kann. An einigen Ecken ist sie einfach nur gottverlassen, diese Welt, kann sich der Metzger nicht gegen seinen Eindruck erwehren.
    Station D, das ist sein Ziel. Unangenehm ist ihm das jetzt, kurz nach Ende der offiziellen Besuchszeit durch die Gänge eines Kinderspitals zu schleichen.
    Aus manchen Zimmern dröhnt ein Weinen auf den Gang, irgendwann muss hier eben jede Mama oder jeder Papa nach Hause, außer natürlich die Zusatzversicherung finanziert ein Extrabett. Betreten bleibt er stehen, es geht ihm alles sehr zu Herzen, dem Willibald, dann zuckt er erschocken zusammen.
    Ein Zwicken war es, in seiner rechten Gesäßhälfte, kein sanftes, sondern eines der Art, von der ihm seine Herzensdame Danjela Djurkovic konsequent einreden möchte, es spräche die Sprache der Liebe.
    »Ahhh«, stöhnt der Metzger, reibt sich sein Hinterteil, dreht sich um und sieht größenmäßig eine Etage tiefer in ungewöhnlich große graugrüne Augen. Sehr zart und melodiös klingt die dazugehörige Stimme:
    »Hast du dich verlaufen oder träumst du?«
    »Hallo. Du, das hat aber jetzt ganz schön wehgetan!«
    »Nicht so weh wie das da!« Der feingliedrige Junge zieht einen Ärmel seines blauen Pyjamas hoch und deutet auf die vielen blau, grün, gelb umrandeten Einstichstellen in der Armbeuge.
    »Die trifft nicht sehr gut, die Schwester Jelena!«
    Jetzt lacht er, der Bursche, strahlt übers ganze Gesicht, und wie Taschenlampen leuchten zwei Augen dem Metzger entgegen. So ungewöhnlich groß wirken sie vor allem deshalb, weil das sehr schmale Gesicht des Knaben von keinerlei Haarwuchs begrenzt wird. Blass ist seine Haut, sein Kopf, sein ganzer Körper.
    Mit aufforderndem Blick setzt er fort:
    »Du hast dich verlaufen, stimmt’s?«
    »Ich muss zu einem gewissen Doktor Norden, Station D. Das ist doch hier die Station D, oder?«
    »Ich kenn mich hier aus, und auf D gibt es keinen Norden, nur im Süden, Station E, da scheint den ganzen Tag die Sonne, auch wegen der Schwester Gabi. D ist die Onko.«
    Und wieder lacht er.
    »Und du gehst ein wenig spazieren?«, will der Metzger etwas unbeholfen wissen.
    »Ja, spazieren geh ich und gute Nacht sagen zum Felix und zum Sebastian, die liegen da hinten. Das sind meine Freunde, und mit denen spiel ich Schule. Die sind genauso oft da wie ich. Bist du auch der Papa von jemandem hier?«
    Schrecklich, wie es den Metzger jetzt drückt. Es sind nur ein paar Schritte, und man landet direkt von der Straße, wo oft bereits alles zu haben, inklusive der Gesundheit, noch lange nicht genug ist, im zweiten Stock der Kinderkrebsabteilung. Seltsam kommt es ihm vor, da sucht der Mensch in Gotteshäusern vergeblich nach seiner verlorenen Demut vor dem Leben, und genau dort, wo die Welt zeigt, wie gottverlassen sie sein kann, ist sie zu finden.
    »Peter!«, dröhnt in diesem Moment eine Frauenstimme über den Gang.
    »Uiuiui, die Schwester Jelena, ich muss zurück.«
    Im Hintergrund nähert sich eiligen Schrittes eine schlanke, für dieses Umfeld ungewöhnlich herausgeputzte Krankenschwester. Stechend ist der Blick aus ihrer stark geschminkten Augenpartie.
    »Peter, nicht schon wieder. Du musst jetzt liegen bleiben. Jedes Mal dasselbe, wirklich!«
    »Aber ich kann ja auch beim Felix und beim Sebastian liegen!«
    »Nein, das kannst du nicht, du liegst auf Klasse und hast dein eigenes Zimmer, sogar mit Fernseher! Andere reißen sich darum! Kommst du jetzt.«
    »Aber ich brauch kein Klassezimmer. Mein kleines Klassenzimmer mag ich. Ich kann ja auch beim Felix und beim Sebastian liegen!«
    »Nix aber,
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