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Der Metzger bricht das Eis

Der Metzger bricht das Eis

Titel: Der Metzger bricht das Eis
Autoren: Thomas Raab
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verstanden! Und jetzt dalli.«
    Resignierend senkt der Junge den Kopf, dreht sich um und flüstert:
    »Sie fahren jetzt hinauf auf E? Grüßen Sie die Schwester Gabi, ja? Vom Peter. Versprochen?«
    »Versprochen!«, entgegnet der Metzger.
    »Und kommen Sie mich wieder einmal besuchen, ja? Versprochen?«
    Dann hat sie ihn schon am Oberarm, die Schwester Jelena.

5
    Schon von Weitem sieht der Metzger Hannelore Berger mit Annas Mutter Maria vor einem der Krankenzimmer stehen.
    Laut Türschild heißen die beiden hier liegenden Patientinnen Anna Kaufmann und Melinda Jakobi. So nimmt der Metzger also mit: »Guten Abend, Frau Kaufmann!« neben der Zweiergruppe Aufstellung, erzählt von seinem Fund und zückt den besagten Gegenstand.
    »Das ist aber lieb von Ihnen, da wird Ihnen wer dankbar sein«, stellt Maria Kaufmann mit einem irgendwie abwesenden Gesichtsausdruck fest, blickt auf die Uhr und zeigt keinerlei Anstalten, die Geldbörse zu übernehmen. »Geben Sie Ihr das ruhig selbst, Anna wird sich freuen. Hanni, gehst du mit rein, dann geh ich schnell auf ein Sprüngerl hinauf eine rauchen!«, lautet zur Verwunderung des Metzgers die mütterliche Weisung. Dann schultert sie ihre getigerte Handtasche, hängt sich in den Windschatten eines vorbeispazierenden Pflegers und verschwindet im Treppenhaus.
    Kurz dauert der Besuch. Anna übernimmt mit einem sehr aufgeweckten »Dankeschön« das Täschchen, leert es sofort vor sich auf der Bettdecke aus, so als wollte sie den Inhalt auf seine Vollständigkeit überprüfen, hält einen Gegenstand hoch und meint: »Das gehört mir nicht!«
    »Jetzt schon!«, erklärt Willibald Adrian Metzger. »Du magst doch Tiere – aber ja nicht in den Mund nehmen!«
    Ein wissendes Lächeln legt sich auf die Lippen des Mädchens, bläulich schimmert ein kleiner gläserner Elefant zwischen ihren Fingern. Nach mehr als vierzig Jahren darf so ein Viecherl schon einmal den Setzkasten verlassen, der einst vom Metzger noch mit Kinderhand gefüllt und mittlerweile in eine Ecke der Werkstatt verbannt worden ist.
    »Den mag ich, der hat zwei verschieden große Ohren, wie der Hund von unserer Nachbarin Frau Kwatal!«
    »Das freut mich und natürlich auch den Elefanten. So, du tapfere junge Dame, ich lass dich jetzt wieder allein. Und pass schön auf dich auf!«, beendet der Metzger seinen Besuch und weiß gar nicht, welch grausame Wirklichkeit in seinen Worten steckt.
    Kurz darauf spaziert er ein paar Abteilungen weiter, denn einen weiteren Besuch in diesem Spital hat er ja noch zu erledigen.
    »Der Peter richtet mir Grüße aus? Mein Gott, so ein lieber Junge. Ich werd ihn später noch besuchen, versprochen«, erklärt Schwester Gabi, und ja, das kann er völlig nachvollziehen, der Willibald, da hätte er sich als Junge wahrscheinlich auch ein wenig verliebt. Eine korpulente, mit wunderbar weichen weiblichen Formen ausgestattete Person, die eine derart gütige Ausstrahlung und eine so sanfte Stimme an den Tag legt, wenn das keine Einladung zum Hineinkuscheln ist. Lange ist dem Restaurator dieser wunderbare Anblick aber nicht vergönnt, denn Schwester Gabi steht mit dem Rücken zum Fenster, was bedeutet: Der Metzger sieht bei diesem Fenster hinaus. Und erquickend sind die Aussichten nicht, da hilft die wunderschönste Südseite nichts.
    Schuld dran sind nicht die Krähen, die sich, als hätten sie eine schaurige Vorahnung, plötzlich im Innenhof des Spitals von der düsteren Fassade lösen und unter dem bewölkten Himmel ihre Kreise ziehen. Schuld ist ein anderes Flugobjekt. Nur weil ein Tiger nicht fliegen kann, gilt das eben noch lange nicht für ein entsprechend gemustertes Accessoire.
    »Hopsala, da ist jetzt was runtergefallen.«, entfährt es dem Metzger. »Ganz schön riskant da oben auf der Raucherterrasse.«
    »Ich sag’s ja immer wieder: Rauchen kann die Gesundheit gefährden!«, erwidert Schwester Gabi. Und weil auch sie sich zum Fenster dreht, sind es nun zwei Augenpaare, die mit ansehen müssen, wie sich die Handtasche nur als Vorhut und Schwester Gabis Spruch auf höchst makabre Weise als zutreffend erweisen.
    Augenkontakt hat trotzdem nur der Metzger, und diesen kurzen Blick wird er sein Lebtag nicht mehr vergessen. Sich völlig ergebend sieht sie ihn an, die Frau Kaufmann, der Rock schlägt ihr vor die Brust, ihr Mantel flattert im Wind, wie in Zeitlupe rudern ihre Arme haltlos durch die Luft, ihre Wangen sind seltsam verformt, ihre Lippen leicht geöffnet. Kein Schrei ist zu hören, als
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