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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber
Autoren: Sabine Thiesler
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Mitte der Halle, aß heißhungrig sein Brötchen, während die Menschen um ihn herumrannten, Gepäck und kleine Kinder hinter sich herzogen, durcheinanderschrien oder das Rauchverbot ignorierend in Gruppen rauchten und sich unterhielten.
    Was mache ich hier?, dachte Jonathan und sah auf die Uhr. Es war jetzt fünfzehn Uhr fünfzig. Direkt vor ihm auf Gleis sieben fuhr um fünfzehn Uhr einundfünfzig ein Zug nach Rom. Jonathan stopfte sich den Rest des Brötchens in den Mund, stürzte den letzten Schluck Kaffee hinunter und warf den Becher im Rennen in den Papierkorb. Als er auf den Bahnsteig kam, hob der Bahnbeamte bereits die rote Kelle. Jonathan schaffte es gerade noch, seinen Koffer in den Zug zu werfen und hinterherzuklettern. Unmittelbar hinter ihm schlossen sich die automatischen Türen.
    Der Zug rollte durch das Bahnhofsviertel von Florenz, und Jonathan ging auf der Suche nach einem Platz langsam weiter nach vorn. Im dritten Wagen fand er eine freie Bank, setzte sich ans Fenster und stellte seinen Koffer neben sich.
    Es roch nach Diesel und alter Pisse. Ihm gegenüber saß ein junger Italiener mit ungewöhnlich dicken Oberschenkeln, breitbeinig und mit geschlossenen Augen. In seinen Ohren steckten Kopfhörer, und Jonathan hörte gedämpft die plärrende Musik.
    In den letzten Tagen hatte er sein Handy nicht angeschaltet, er wollte für Jana nicht erreichbar sein, jetzt zog er es aus derJackentasche und schaltete es ein.
    Nur damit du Bescheid weisst, schrieb er an Jana, ich bin in Italien. Auf unbestimmte Zeit. J.
    Keine Anrede, kein Gruß, kein nettes Wort.
    Dann schickte er die SMS ab.
    Die kleinen Orte, die vorüberzogen, registrierte er nicht. Er sah aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen, und dachte an den letzten Streit. Es hatte bereits viele gegeben, aber dieser hatte das Fass zum Überlaufen gebracht.
     
    Jonathan hatte am Küchentisch gesessen und Zeitung gelesen.
    »Was ist los?«, fragte Jana.
    »Nichts ist los.«
    »Du machst ein Gesicht – das ist nicht zum Aushalten.«
    »Ich mache gar kein Gesicht.«
    »Doch. Du müsstest dich mal sehen, da kann einem schlecht werden!«
    »Hör auf, auf mir rumzuhacken, und lass mich in Ruhe.«
    Jana schnaufte. »Ich halte das nicht aus, Jon. Nie redest du mit mir. Immer soll ich dich in Ruhe lassen, du hängst hier mit finsterem Gesicht in der Gegend rum und hast nur noch schlechte Laune. Nur noch!«
    »Du hast schlechte Laune! Seit Tagen, Wochen, ach was, seit Monaten. Keine Ahnung, was mit dir los ist, aber jetzt komm mir nicht so! Ich hab keine schlechte Laune, aber wenn du so weitermachst, kriege ich gleich welche!«
    »Jonathan, du hast dich völlig verändert! Du bist nur noch verbiestert und verbittert, ich habe dich schon ewig nicht mehr lächeln sehen, und wenn du irgendetwas zu mir sagst, dann meckerst du rum, kritisierst mich wegen jedem Scheiß und weißt alles besser. Ich hab das monatelang ertragen und runtergeschluckt, aber irgendwann kann ich auch nicht mehr. Ich bin nicht deine Feindin, Jon, ich sitze im selben Boot, uns beiden ist dasselbe passiert, aber du greifst mich ständig an! Was soll das?«
    Jonathan knallte die Zeitung auf den Tisch. »Wer greift denn hier wen an? Ha?«, schrie er. »Ich weiß nicht, was das soll, Jana? Ich hatte keine schlechte Laune und wollte nur in Ruhe meine Zeitung lesen, aber jetzt bin ich sauer. Durch dein ewiges Gehetze und Rumgemäkle, durch dein ständiges Stänkern …«
    »Ach so, jetzt bin ich es also? Natürlich. Wie wunderbar du wieder den Spieß umdrehst!«
    »Wenn du schlechte Laune hast, dann projizierst du es immer auf andere und machst mir Vorwürfe, dass ich schlechte Laune hätte. Fass dir mal an die eigene Nase!«
    Jede Weichheit war aus Janas Gesicht verschwunden. Ihre Züge waren hart und kalt. »Du kotzt mich an, Jon, weißt du das?«
    »Du kotzt mich genauso an, meine Liebe.«
    »Na, das ist ja toll.«
    »Das ist richtig toll.«
    Jana schnappte nach Luft. Jonathan dachte, dass sie jetzt genug hätte, und wollte gerade die Zeitung in die Hand nehmen, als sie wieder anfing. Allerdings wesentlich leiser.
    »Es ist ja nicht erst seit ein paar Tagen, es geht seit Wochen so, ach was, seit Monaten, eigentlich seit …, du weißt seit wann. Die ganze Welt ist dir egal, ich bin dir egal. Du siehst mich nicht mehr, du hast mich seit Ewigkeiten nicht mehr berührt.«
    »Ich kann nicht, Himmelherrgott!«, schrie Jonathan.
    »Du lebst nicht mehr mit mir!«
    »Nein! Weil ich nicht nur nicht
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