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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit
Autoren: W. Somerset Maugham
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Bank, dem Haus des Arztes und den Häusern von zwei oder drei Kohleschiffbesitzern: Rings um den Hafen lagen ein paar schäbige Straßen, in denen Fischer und arme Leute wohnten; aber da sie nicht zur anglikanischen Hochkirche gehörten, zählten sie nicht. Wenn Mrs. Carey auf der Straße einen von den dissidentischen Geistlichen erblickte, wechselte sie die Straßenseite, um eine Begegnung zu vermeiden, oder hielt, wenn dazu keine Zeit mehr war, ihre Blicke starr auf das Pflaster gerichtet. Dass in der Hauptstraße nicht weniger als drei Kapellen standen, war ein Skandal, mit dem sich der Vikar niemals abgefunden hatte: Er war der Ansicht, dass es Pflicht der Obrigkeit gewesen wäre, ihren Bau zu verhindern. Das Einkaufen war in Blackstable keine einfache Sache, denn das Sektenwesen, noch gefördert durch den Umstand, dass die Pfarrkirche zwei Meilen außerhalb der Stadt lag, erfreute sich großer Verbreitung. Und es war unumstößliches Gebot, ausschließlich bei Kirchenbesuchern zu kaufen. Mrs.   Carey wusste genau, dass es für den Glauben eines Geschäftsmannes entscheidend sein konnte, ob der Pastor zu seinen Kunden zählte oder nicht. Es gab zwei Metzger, die beide der Kirche angehörten und nicht begreifen wollten, dass der Pfarrer nicht gleichzeitig bei beiden einkaufen konnte; ebenso wenig Verständnis zeigten sie für sein einfaches System, seinen Bedarf sechs Monate bei dem einen und sechs Monate bei dem anderen zu decken.
    Der Metzger, der nicht fortwährend Fleisch ins Pfarrhaus lieferte, drohte, nicht mehr in die Kirche zu gehen, und der Vikar war daher manchmal genötigt, auch seinerseits eine Drohung auszusprechen: Es sei ganz und gar unrecht von ihm, nicht in die Kirche zu gehen, aber wenn er weiter sündigen wollte und tatsächlich in eine der Kapellen ginge, wäre Mr.   Carey natürlich gezwungen, ihn für immer zu verlassen, obgleich er vorzügliches Fleisch habe.
    Mrs.   Carey machte unterwegs häufig bei der Bank halt, um Josiah Graves, dem Direktor, der gleichzeitig Chormeister, Kirchenvorstand und Schatzmeister war, irgendeine Nachricht zu überbringen. Er war ein großer, hagerer Mann mit bleichem Gesicht, langer Nase und schneeweißem Haar, und Philip erschien er unendlich alt. Er führte die Rechnungsbücher im Pfarramt und arrangierte die Unterhaltungen für den Chor und die Schulen; obgleich die Kirche keine Orgel hatte, galt es (in Blackstable) für ausgemacht, dass der Chor, den Josiah Graves leitete, der beste in Kent sei. Wenn irgendeine Zeremonie bevorstand wie zum Beispiel der Besuch des Bischofs anlässlich der Konfirmation oder eine Predigt des Landdekans zum Erntedankfest, dann war es Josiah Graves, der die nötigen Vorbereitungen traf. Er trug jedoch keine Bedenken, den Vikar bei vielen Gelegenheiten nur oberflächlich zu Rate zu ziehen, und der Vikar, wenn auch stets geneigt, sich eine Arbeit abnehmen zu lassen, nahm ihm dieses selbständige Tun sehr übel. Josiah Graves schien sich wahrhaftig für die wichtigste Person in der Gemeinde zu halten. Mr.   Carey sagte es immer wieder zu seiner Frau: Diesem Menschen wollte er noch einmal tüchtig seine Meinung sagen. Er sollte sich vorsehen. Aber Mrs.   Carey riet ihrem Gatten, doch lieber nachsichtig gegen Josiah Graves zu sein, er meine es gut und könne schließlich nichts dafür, dass er kein Gentleman sei. Der Vikar entschloss sich also zur Nachsicht und fand seinen Trost in der Ausübung dieser christlichen Tugend; doch rächte er sich, indem er den Kirchenvorsteher hinter seinem Rücken Bismarck nannte.
    Einmal hatte es einen ernsthaften Streit zwischen den beiden Männern gegeben, und Mrs.   Carey dachte immer noch mit Entsetzen an diese aufregende Zeit. Der Kandidat der konservativen Partei hatte die Absicht geäußert, in Blackstable zu sprechen; Josiah Graves erschien bei Mr.   Carey, nachdem er arrangiert hatte, dass die Versammlung im Missionshaus stattfinden sollte, um ihn zu bitten, bei diesem Anlass ein paar Worte zu sprechen. Es stellte sich heraus, dass der Kandidat Josiah Graves gebeten hatte, den Vorsitz zu übernehmen. Das war mehr, als Mr.   Carey dulden konnte. Er hatte genaue Vorstellungen, was den gebührenden Respekt gegenüber dem Predigerstand betraf, und es wäre lächerlich, wenn der Kirchenvorsteher in einer Versammlung, welcher der Pfarrer beiwohnte, den Vorsitz führen sollte. Er erinnerte Josiah Graves daran, dass Pfarrer Pfarr-Herr bedeute und dass er sich demnach als Herr der Pfarre
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