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Der Meisterdieb

Der Meisterdieb

Titel: Der Meisterdieb
Autoren: Hans Kneifel
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sich auf sein Lager, streckte sich aus, verschränkte die Arme im Nacken und versuchte zu begreifen, was er erlebt hatte.
    Dass vier der Jungen, die unter seiner Obhut gestanden hatten, nicht mehr zurückgekommen waren, erfüllte ihn mit Trauer und mit Wut gegen Aagolf.
    Er würde es ihm heimzahlen.
    *
    Arruf ließ sich später von seinem Freund schildern, wo er Echtamor finden könne.
    Er ging allein, nicht ohne seinen Dolch in den Stiefelschaft zu stecken. Im hellen Licht des Tages bewegte er sich aus dem unteren Bereich der Stadt in vorsichtigen Schlangenlinien über Treppen und Gassen aufwärts bis an die untersten Stützmauern des Sarpha-Palasts.
    Der Eingang zur Wohnung – oder zur Zauberhöhle -Echtamors war gekennzeichnet durch eine löcherige Markise, die einst mit magischen Zeichen in Silberstickerei verziert gewesen war. Sie baumelte an ihren Haltestangen schlaff über einer Tür, die ebenso alt und rissig war, einst voller wertvoller Schnitzereien, jetzt jedoch schmutzig und fast unkenntlich.
    Arruf blickte voller Skepsis die Tür an und dachte bei sich: Wie hoch auch immer der Gipfel seiner Macht gewesen sein mag – Echtamor hat ihn wohl endgültig überschritten.
    Er hob die Schultern und stieß die Tür auf.
    Über seinem Kopf fing eine Art klirrendes Glockenspiel zu klappern und scheppern an. Dasselbe geschah, als Arruf verwirrt die knarrenden Bohlen wieder zurückschob und sich gegen das Holz lehnte. Mit schwacher Stimme, überwältigt von dem muffigen Geruch des Gelasses, rief er: »Ich suche den mächtigen Magier Echtamor.«
    Er sah sich im Halbdunkel um. Nur langsam gewöhnten sich seine Augen an die schlechten Lichtverhältnisse. Er stand in einem winzigen Vorraum, der zu der Markise und dem Tor passte. An den Wänden hingen ausgestopfte Fabeltiere, aber sie waren weder groß noch dämonisch. Undeutliche Geräusche kamen aus dem Raum vor Arruf. Schließlich, nachdem er das harte Klirren zerbrechenden Glases gehört hatte, schlurften zögernde Schritte heran.
    Und ausgerechnet an dieser Stelle sollte er sich vor den Meuchelmördern des Shallad Hadamur in Sicherheit wiegen können?
    »Ich bin Arruf!« rief der Junge.
    Ein Vorhang öffnete sich. Eine schwarzgekleidete Gestalt, ebenso mager wie Anruf, aber einen Kopf größer. und viele Jahrzehnte älter, starrte den Jungen an. Die Augen stechend wie Dolche. Die Hände, die den Vorhang auseinanderstreiften, erinnerten den Jungen an Vogelklauen.
    Der Magier sagte mit rostiger Stimme: »Du suchst Echtamor. Ich bin der Magier des Totenreichs, Echtamor genannt.«
    »Dann bist du… ein Eingeweihter?«
    »So ist es. Niemand ist mehr in die Mysterien eingeweiht als ich. Dich hat ein glücklicher Zufall hierhergebracht. Komm herein!«
    Eine Hand schoss blitzschnell nach vorn, krallte sich in Arrufs Schulter und riss den Knaben förmlich durch den Vorhang. Der Magier wirbelte sein Opfer herum und stieß es weiter in den Raum hinein. Wände und Boden eines ziemlich großen, aber dunklen Zimmers waren mit Möbeln, muffigen Teppichen, allerlei unerklärlichen Gegenständen und düsteren Bildnissen an langen Schnüren überfüllt.
    »Ein merkwürdiges Willkommen, das du mir bereitest, Magier!« sagte Arruf. »Was kannst du mir bieten, dass ich nicht sofort wieder aus deiner stinkenden Kammer flüchte?«
    Der Magier grinste ihn an. Sein Gesicht glich einem gelblichen Totenschädel. »Ich biete dir Schutz vor den Meuchelmördern, die im Auftrag von Hadamur handeln und dir nachstellen.«
    »Bis zum heutigen Tag«, sagte Arruf mit neu erwachtem Mut, »habe ich diese Anschläge überlebt.«
    »Dieser Umstand kann sich rasch ändern. Nur im Schatten meiner mächtigen, beschwörenden Arme genießt du den vollkommenen Schutz.«
    »Deine Macht«, sagte Arruf, der von Augenblick zu Augenblick mehr Selbstsicherheit zurückgewann, »war vor langer Zeit sicher sehr groß. Heute aber sehe ich, dass deine Zaubertiere von Motten zerfressen sind und auch deine Macht entsprechend gebrochen ist.«
    »Du irrst, Grünschnabel«, fuhr ihn der Magier an. »Hier herein! Und ich sehe, dass wir zwei ein feines Gespann sein werden. Deine Augen haben einen jenseitigen Blick wie… wie jene, die ich vor Jahren hatte.«
    »Jenseitig?« wollte Arruf wissen. »Was meinst du damit?«
    »Durch dich«, entgegnete der Magier und kicherte wahrhaft dämonisch auf, »werde ich wieder leicht mit jenem Reich in Verbindung treten können, das mir die uneingeschränkte Macht über Menschen, Dinge und
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