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Der Meisterdieb und seine Feinde

Der Meisterdieb und seine Feinde

Titel: Der Meisterdieb und seine Feinde
Autoren: Stefan Wolf
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Türmchen und mehrere Ebenen — wie man damals so baute, als das
Großbürgertum beim Adel die Baupläne abguckte. Mit der Strickleiter seile ich
mich dann ab auf der Ostseite. Dort kann ich mir aussuchen, durch welches
Fenster ich einsteige: in die Bibliothek, ins Arbeitszimmer oder in den
Nebenraum, wo der Tresor ist. Während Breschke und seine Klothilde bei Gittl
Kaviar löffeln und Champagner schlürfen, hole ich uns die Münzsammlung und die
50 000.“
    „Super! Eigentlich hättest du
ihn gar nicht erpressen müssen.“
    „Doch! Erstens, damit er das
Geld im Haus hat. Zweitens war nicht abzusehen, dass sich diese Gelegenheit
bietet. Wahrscheinlich wundert er sich morgen, dass ich nicht mehr anrufe. Und
merkt erst dann, dass der Tresor leer ist.“
    „Ich möchte sein Gesicht
sehen.“
    „Geht leider nicht.“
    Helga parkte an einer dunklen
Stelle der Straße. Sie konnten die Villa sehen und das Licht hinter den
Fenstern. „Er ist noch zu Hause, Jean.“
    „Ich sehe keinen Wagen. Die
Garage ist geschlossen. Vielleicht sind die beiden schon weg und Breschke lässt
nur das Licht brennen. Oder er hat ‘nen Zeitschalter.“
    „Oder seine Klothilde holt ihn
mit dem Taxi ab. Immerhin werden sie Champagner schlürfen.“
    „Auch möglich. Trotzdem — ich
steige jetzt aufs Dach. Je eher wir hier fertig sind, umso besser. Denn um halb
zehn müssen wir am Verdi-Denkmal sein. Da liefert der Bulle sein Geld ab.“
    Helga klatschte aufs Lenkrad —
eine Geste, als patsche ein kleines Kind die Hände zusammen.
    „Phantastisch, Jean, um wie
viel wir reicher werden heute Abend. Von so einem Stundenlohn können andere nur
träumen.“
    Er nickte. „Wir sahnen ab wie
Spitzensportler. Aber ohne deren Risiko. Die laufen immer Gefahr, dass die
Gesundheit leidet. Die Knochen werden zertreten, das Gehirn wird weich geklopft
oder sie landen samt ihrer Rennsemmel im Jenseits. Also, mein Schatz, halt die
Augen offen. Ich bin bald wieder da.“
    Wenk stieg aus. Lautlos
verschwand er in der Dunkelheit. Dann lief alles wie gedacht: Nach acht Minuten
und 13 Sekunden kniete er auf dem Dach. Um 19.34 Uhr hatte er an einem
Schornstein auf der Ostseite die Strickleiter befestigt. An der Hauswand ließ
er sie hinunter — zwischen zwei erleuchteten Fenstern.
    Soweit er hören konnte, war im
Haus alles ruhig. Trotzdem übte er beim Abstieg äußerste Vorsicht. Und das war
auch gut. Denn als er neben dem Bibliotheksfenster an der Leiter hing, hörte er
leise Stimmen aus dem erleuchteten Raum. Breschkes Stimme und die
zierlich-affektierte einer Frau.
    Vorsichtig riskierte er einen
Blick.
    Beide trugen Abendkleidung.
Breschke war im Dinnerjackett, die Frau im knöchellangen Kleid. Aber mit den
Knöpfen am Rückendekolletee schien was nicht in Ordnung zu sein. Breschke
musste helfen und fummelte zwischen ihren Schulterblättern wie eine Kammerzofe
im ersten Ausbildungsjahr. Klothilde hielt still. Dann wurde es Zeit für die
beiden. Sie löschten das Licht und verließen den Raum. Wenk baumelte neben dem
Fenster.
    Er hörte, wie sie nach einiger
Zeit aus dem Haus traten. Das Portal wurde abgeschlossen und Breschke holte
seine Limousine aus der Garage. Als sie durchs Tor fuhren, kamen sie in Wenks
Blickfeld. Er sah dem Wagen nach, bis die Rücklichter hinter der Ecke
verschwanden. Dann kniete er sich auf den Fenstersims, knackte die Scheibe und
stieg ein.
    Für den Tresor benötigte er
neuneinhalb Minuten.
    Die Münzen waren in flachen
Schubfächern untergebracht, dem so genannten Münzkabinett. Wenk hatte sich schlau
gemacht und erkannte mit einem Blick, welche Kostbarkeiten vor ihm lagen:
römische Goldmünzen, Aureus genannt; nur einseitig geprägte Münzen aus dem
Mittelalter — Brakteat; spanische Goldmünzen aus dem 16. Jahrhundert — Dublone;
goldene Dukaten, Gold-Gulden aus dem 13. Jahrhundert, viele südafrikanische
Krügerrand — natürlich in Gold, französische Gold-Louidor, byzantinische
Solidus in Gold, Taler, Kreuzer und vieles mehr. Ein Schatz!
    Wenk schaufelte alles in seinen
Rucksack, der bald 20 Kilo wog. Dann suchte der Meisterdieb nach dem Geld. Wo
waren die 50 000 Euro?
    Im Tresor waren sie nicht. Wenk
suchte wie ein Blöder. Aber er fand kein Geld. Überall im Haus sah er sich um.
Vergebens. Als schließlich die Zeit drängte, gab er auf.
    Das Geld musste hier sein. Zu
dumm, dass er’s nicht fand. Nun würde es also doch noch zu einem Treffen kommen
mit Arthur Breschke.
    Wenk machte sich auf den
Rückweg.
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