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Der Meisterdieb und seine Feinde

Der Meisterdieb und seine Feinde

Titel: Der Meisterdieb und seine Feinde
Autoren: Stefan Wolf
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Klößchen entdeckte sie, als er
über die Grabumrandung stolperte und in die Farne fiel. Mit dem Gesicht landete
er auf der Blechschachtel. Sie war etwas kleiner als ein Hausbriefkasten.
    Klößchen hatte sich die Backe
aufgeschrammt. Fluchend versetzte er der Schachtel einen Tritt. Sie flog auf
den Weg und wäre fast gegen Gabys Beine geprallt.

    „Pass doch auf, du Tölpel!“,
schimpfte sie.
    „Dich wollte ich nicht treffen.
Das verdammte Ding lag im Weg.“
    Tim beugte sich über die
Schachtel. Sie war neu und tarn-grün angestrichen. An der oberen Schmalseite
saß der Deckel fest drauf. Tim nahm ihn ab.
    „Der tote Briefkasten! Wir
haben ihn.“
    Tim schüttelte den Inhalt
heraus: fünf verschlossene Briefumschläge. Alle im Format 23,5 x 12,5 cm. Alle
in braun. Jeder trug ein code-artiges Zeichen.
    „Wahnsinn!“, flüsterte Gaby.
„Ist da überall Geld drin?“
    „Garantiert!“ Tim zückte sein
Taschenmesser und benutzte die kleine Klinge als Brieföffner.
    Jeder Umschlag enthielt
gebündeltes Geld. Sie zählten.
    „Im A7-Umschlag“, meinte
Klößchen — und meinte den mit Filzstift aufgemalten Code, „sind 1000 Euro. Im
D4 ebenfalls.“
    „1500 im G9“, meldete Karl.
    Gaby hatte sogar 2000 Euro im
F1-Umschlag gefunden.
    „Bei mir steht Z3 drauf“, sagte
Tim, „und 800 Euro sind drin. Scheint der kleinste gastronomische Betrieb zu
sein, den die Erpresser zur Kasse bitten. Der Code steht natürlich für das
jeweilige Restaurant und ist nur dem Täter und dem Opfer bekannt. A7 oder D4
muss das Che Italia sein.“
    „Und nun?“, fragte Karl.
    Tim hatte nach allen Seiten
gespäht. Und niemanden entdeckt. Offenbar waren sie allein auf dem Friedhof.
    Was wundert’s!, dachte der
TKKG-Häuptling. Bei diesem Wetter hat selbst der anhänglichste Hinterbliebene
keine Lust, seine Gräber novemberfein zu machen. Bis zum Volkstrauertag und
Totensonntag ist ja noch Zeit.
    „Die Erpresser holen
offensichtlich nicht die Einzelbeträge ab“, sagte er, „sondern sammeln die
unfreiwilligen Spenden erst ein, wenn ein Sümmchen beisammen ist. Jetzt ist es
das. Vielleicht haben wir Glück und der Inkasso-Grumpie ( Inkasso=Geldeinforderung )
tanzt an.“
    „Heißt das“, fragte Klößchen,
„wir verbringen den restlichen Nachmittag hier, versteckt liegend unter den
Ziersträuchern, und frieren uns das Sitzpolster ab?“
    Tim schüttelte den Kopf. „Wir
machen uns nützlich. Wir pflegen ein paar Gräber.“
    „Pflegen?“, fragte Karl.
    „Unkraut zupfen! Blumenschalen
bewässern! Mit dem Papiertuch den Grabstein polieren! Lass dir was einfallen.“
    „Bei fremden Gräbern?“, sagte
Klößchen. „Ich glaube, du spinnst.“
    „Dann leg dich unter die
Ziersträucher und lass deinen Hinterschinken vereisen.“
    Klößchen seufzte. „Also gut,
ich kratze Vogelkacke von Grabkreuzen. Hoffentlich werden wir öffentlich
belobigt.“ Tim steckte das Geld in die Umschläge zurück und schob diese in die
Blechschachtel. Verschlossen wurde sie wieder zwischen die Farne gelegt. Die
sahen allerdings schlimm aus, waren niedergedrückt oder abgebrochen unter
Klößchens Gewicht. Sie wurden aufgerichtet, so gut es ging, und Gaby betupfte
die Schramme auf Klößchens Backe.
    „Kann sein, dass es ein
bisschen brennt. Aber du wirst nicht daran sterben.“
    „Das würdest du auch sagen,
wenn ich den Kopf unterm Arm trage.“
    „Mitnichten. Dann hättest du
mein volles Mitgefühl.“ TKKG wählten sich Gräber aus rund um den toten
Briefkasten. Klößchen wurschtelte halbherzig und legte ausgedehnte Pausen ein,
um Schokolade zu futtern. Karl schrubbte einen Marmorstein, der das eigentlich
nicht brauchte. Gaby versorgte die Keramikschalen auf einem Familiengrab mit
Frischwasser aus der Gießkanne.
    Tim hatte sich einen kleinen
Rübenacker vorgenommen — jedenfalls eine verwahrloste Ruhestätte. Hier ruhte
Egon Faistläber, geboren 1931, verstorben 1999 — Konzertagent. Auf seiner
Ruhestätte gediehen Brennnessel, Lieschgras, Klee und sogar Brombeerranken. Tim
jätete. Da das Grab noch nicht alt war, überraschte der Zustand.
    Ist wie Gartenarbeit, dachte
der TKKG-Häuptling, und die macht Spaß. Er, Tim, war regelrecht in sein Tun
vertieft und hockte mit dem Rücken zum Tor.
    „Da kommt wer“, zischelte Gaby,
schwenkte ihre Gießkanne und blickte an ihm vorbei. „Ist aber ‘ne Dame.“
    Tim drehte sich um und wäre
fast erschrocken. Denn die Dame eilte auf ihn zu, wobei sie ihren eleganten
Regenschirm wie einen
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