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Der Meisterdieb und seine Feinde

Der Meisterdieb und seine Feinde

Titel: Der Meisterdieb und seine Feinde
Autoren: Stefan Wolf
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Normalmaß abzusenken — wofür es ja bekanntlich nichts
Besseres gibt als intensive Bewegung. Er ging rasch, gegen den eisigen Wind
gestemmt, und hielt manchmal seinen Hut fest. Der lange Mantel flatterte um
seine Beine. Corsa ging und ging, hielt sich stadtauswärts. Klößchen begann
erst zu murren, fiel dann zurück — weil er sich stärken musste mit Schoko aus
der Hosentasche.
    „Ich ahne, wohin er will“,
sagte Tim, nachdem sie eine halbe Stunde gelaufen waren: „Zum Fürstenhofer Friedhof.“
    „Die Richtung stimmt“, nickte
Gaby.
    Sie trug ihren blauen Anorak
und ein blaues Stirnband, das sie allerdings absetzte, wenn sie sich mit dem
Fahrradhelm behütete. Jetzt baumelten alle Schutzhelme am Lenker.
    „Außerdem“, meinte Karl, „ist
ein Friedhof bestens geeignet für einen toten Briefkasten. Damit meine ich
nicht, weil dort ohnehin alles tot ist, sondern wegen der
Versteckmöglichkeiten.“
    Der Fürstenhofer Friedhof ist
groß, erstreckt sich vom Stadtteil Fürstenhof bis zur Stadtgrenze. Eine U-Bahn-Linie
führt vorbei. Es gibt einen Parkplatz für mindesten 120 Fahrzeuge. Das gesamte
Gottesacker-Gelände wird von einer mannshohen Mauer umgeben, die alt ist und
schadhaft. Der Friedhof gilt als romantisch und schön — mit seinen alten
Bäumen, vielen Büschen und Ziersträuchern. Das älteste Grab ist aus dem Jahre
1711. Nachts treiben sich zahlreiche Füchse herum, Wildkaninchen sowieso.
    Das Haupttor stand offen.
    TKKG beobachteten, wie Corsa
den Friedhof betrat und geradeaus weiterging.

    „Wir müssen aufrücken“,
bestimmte Tim, „sonst verlieren wir ihn aus den Augen. Dich, Gaby, kennt er.
Besser, du versteckst dich abseits der Blickrichtung: hinter den hohen
Grabsteinen dort.“
    „Ich leiste Gaby Gesellschaft“,
verkündete Klößchen. „Damit ich mal wieder zu Puste komme. Diese Verfolgungen
sind das Letzte. Immer Hetze und man weiß nie, wann sie endet.“
    „Wir warten hinter der
Marmorgruft“, sagte Gaby. „Aber seid bitte zurück, bevor es endgültig dunkel
wird.“
    Das bezog sich nicht auf die
Tageszeit, sondern auf den rabenschwarzen Himmel. Der Novembertag war
eigentlich kein Tag, sondern eine grau angestrichene Nacht. Nur der starke
Wind, der die Wolken trieb, verhinderte, dass der Regen losprasselte.
    Fahrräder waren verboten. Sie
wurden am Tor abgestellt, Tim und Karl sausten los. Corsa war gerade noch in
Sicht. Jetzt bog er nach links ab und verschwand hinter Büschen. Tim sprintete.
Karl kam nicht mit, außerdem beschlug seine Brille. Tim hatte gut 200 Meter vor
sich. In den Sekunden, da Corsa unbeobachtet war, konnte sonst was sein.
    Ich muss auf den Parallelweg,
dachte der TKKG-Häuptling — und hechtete über ein Familiengrab, ohne irgendwas
zu beschädigen. Dann zwischen zwei Gräbern entlang. Noch ein Sprung über eine
frisch ausgehobene Grube — bereit für die morgige Beerdigung. Jetzt war Tim auf
dem Parallelweg — und sah Corsa weit vor sich, wo er, den Kopf gesenkt, ihm
entgegenkam.
    Er ist auf dem Rückweg!,
durchzuckte es Tim. Zum Geier! Er hat die Kohle schon abgeliefert.
    Corsa fummelte an seinem
Mantel, schloss die oberen Knöpfe.
    Tim tauchte hinter einen
türgroßen Grabstein und duckte sich.
    Corsa eilte vorbei.
    Tim folgte ihm. Hinter einem
Marmorengel kam Karl hervor. Er polierte seine Brille.
    Sie folgten Lucias Vater und
beobachteten, wie er den Friedhof verließ und sich auf den Rückweg machte.
    „Hast du gesehen, wo der tote
Briefkasten ist?“, fragte Karl.
    „Nein. Das haben wir
verschnarcht, weil wir zum Schluss zu trödelig waren. Aber ich weiß ungefähr,
wo Corsa kehrtgemacht hat. Dort müssen wir suchen. Eins der Gräber zwischen dem
Haupt- und dem Parallelweg. Das können nur wenige sein.“
    Tim pfiff auf zwei Fingern.
Gaby und Klößchen hörten ihn und kamen heran.
    Während der nächsten zehn
Minuten suchten TKKG rechts und links des Seitenweges, den Luciano Corsa für
seinen Rundgang benutzt hatte. Je zwei Grabstätten grenzten mit den Rückseiten
aneinander. Alte Ruhestätten, die Grabsteine verwittert. Drei machten trotzdem
einen gepflegten Eindruck, waren frisch bepflanzt und mit Blumenschalen
verschönt. Das vierte Grab verwilderte. Offenbar hatte Alexander v. Gredewitz,
Oberstleutnant a.D., verblichen 1959, keine Nachfahren mehr — jedenfalls keine,
die Geld für den Friedhofsgärtner locker machten oder selbst Hand anlegten.
    Der Grabstein verschwand hinter
Farnen. Sie verbargen auch die Blechschachtel.
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