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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg
Autoren: Wolf Serno
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Woche war ins Land gegangen. Zum Erstaunen des gesamten Dorfes erholte sich meine Stiefmutter ungewöhnlich rasch. Ihre Operationswunde, die mein Vater regelmäßig mit einer Ringelblumensalbe einrieb, verheilte gut.
    Da mein kleiner Bruder am vierundzwanzigsten März geboren worden war, wollten wir ihn Elias nennen – nach Elija, dem Namenspatron für diesen Tag. Meine Stiefmutter meinte: »Lukas und Elias, das passt hübsch zusammen.«
    Zur Taufe war die Familie auf einem Heuwagen nach Frauenfeld gefahren, und Seine Gnaden, der Prälat Bindschedler, hatte es sich nicht nehmen lassen, eigenhändig die heilige Handlung vorzunehmen. Das Taufwasser stammte aus dem Flüsschen Murg, das durch Frauenfeld fließt. Es war quellklar und zuvor im Rahmen einer besonderen Zeremonie geweiht worden. Danach hatte Bindschedler es mit der Hand aus dem steinernen Taufbecken geschöpft und eine geringe Menge über Elias’ Stirn gegossen, wogegen der Täufling kräftig schreiend protestierte. Die Liturgie mit ihrem steten Wechsel aus Gesang und Gebet war lang und für die Mutter ermüdend, doch schließlich war auch sie zu Ende gegangen.
»In nomine Patris et Filii et Spiritus Sancti … Amen.«
    Der langen Rückfahrt wegen hatten wir in Frauenfeld übernachten müssen und erst am darauffolgenden Morgen den Heimweg antreten können. Davor jedoch war Vater noch einmal zu Bindschedler gegangen und hatte ihm das Geld zum Kauf von zwölf Kirchenkerzen übergeben, dazu ein paar Silbermünzen für den Opferstock. »Ich bin Euch so dankbar, Euer Gnaden«, hatte er noch einmal versichert, und Bindschedler hatte sein Krötengesicht in gütige Falten gelegt und geantwortet: »Danke nicht mir, mein Sohn, danke dem Herrgott, um dessen Beistand ich für dich und deine Familie gebetet habe.«
    Auf der Rückfahrt saß mein Vater oben auf dem Kutschbock und sang aus voller Brust die alten Lieder, weil er so glücklich war.
    Und auch jetzt, da wir wieder zu Hause waren, sang er. Leise zwar, weil meine Stiefmutter und der kleine Elias im Nebenzimmer schliefen, doch voller Inbrunst. Es war das Lied von dem Jüngling, der hoch in den Walliser Alpen das zauberstarke Edelweiß sucht, um es seiner Liebsten ans Kleid zu stecken und dadurch ihre Liebe zu gewinnen. »Warum singst du nicht mit, Lukas?«, fragte er mich augenzwinkernd. »Bist du unglücklich verliebt?«
    Die Frage war scherzhaft gemeint, weil ich erst vierzehn Jahre zählte, aber mir war nicht nach Neckereien zumute, deshalb antwortete ich stirnrunzelnd: »Vater, jetzt, wo sich alles so gut gefügt hat, könnte ich doch nach Basel an die Universität gehen?«
    »Großer Gott, fängst du schon wieder damit an«, sagte Vater und begann mit der zweiten Strophe.
    »Ich meine es ernst, Vater.«
    Vater brach seinen Gesang ab. »Daran zweifle ich nicht.« Er griff nach dem Weinkrug, um sich einen Becher vollzuschenken.
    »Wozu sonst habe ich die Lateinschule besucht, wenn ich nicht studieren darf?«
    Vater trank einen Schluck. »Die Schule ist ein gutes Rüstzeug fürs Leben. Das hat der Prälat Bindschedler selbst gesagt.«
    »Er hat auch gesagt, dass aus mir einmal ein guter Arzt werden könnte.«
    »Ich weiß, mein Sohn.« Vater seufzte und trank einen weiteren Schluck. »Aber Gott hat jedem von uns seinen Platz zugewiesen. Und dein Platz ist hier in Siegershausen. Du sollst einmal mein Nachfolger werden. Schweine zu kastrieren ist ein ehrenwerter Beruf, der seinen Mann ernährt. Sieh dich nur um. Alles in diesem Haus habe ich durch meiner Hände Arbeit erworben.«
    Dagegen konnte ich schlecht etwas sagen, ohne Vater zu kränken. Er war ein Mann der Tat und nicht der Bücher. An jenem Abend zählte er siebenunddreißig Jahre, war kerngesund und hatte noch alle Zähne im Mund. Sein Geschick als Kaponenmacher war weit über die Landesgrenzen bekannt. Die von ihm behandelten Schweine überstanden die Eingriffe unbeschadet, sie wurden schneller fett, und ihr Fleisch hatte nicht den strengen Geschmack der unkastrierten Tiere. Vater liebte seinen Beruf über alles und dachte, seinem Sohn müsse es zwangsläufig genauso ergehen, weshalb unser Gespräch an dieser Stelle normalerweise endete. Aber heute wollte ich nicht aufgeben. Ich fragte: »War meine Assistenz bei der Schnittentbindung denn so schlecht?«
    Vater runzelte die Stirn. »Daher also weht der Wind?« Dann glitt ein Lächeln über sein Gesicht. »Fürwahr, du schlägst dich recht wacker im Gefecht der Worte. Deshalb will ich dir ehrlich
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