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Der Medicus von Heidelberg

Der Medicus von Heidelberg

Titel: Der Medicus von Heidelberg
Autoren: Wolf Serno
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letzten Jahr auch als Feldscher gedient. Es war im Schwabenkrieg gegen den deutschen König Maximilian I.«
    Bindschedler schlug die Bibel zu und legte sie beiseite.
    »Auf diese Weise habe ich, bei aller Bescheidenheit, mein Scherflein zum Sieg der Eidgenossen beigetragen.«
    »So, hast du das? Nun ja, das war brav.« Bindschedler schien ein wenig besänftigt.
    »Niemand traut sich, den Eingriff zu wagen, Euer Gnaden. Gotthard Iwein, der Bader, nicht, Alphons Wyss, der Wundarzt, nicht, und von den Wehmüttern ganz zu schweigen. Sie sagen, das Kind hätte eine Steißlage. Man müsse den Tod der Mutter in Kauf nehmen, um wenigstens das Kind retten zu können. Doch damit will ich mich nicht abfinden. Ich liebe meine Frau.«
    »Das ehrt dich.«
    »Es wäre schon die zweite Frau, die ich verliere. Ihr wisst es. Ich bitte Euch inständig, mir Euren Segen für die Operation zu geben!«
    »Warum sollte ich dir meinen Segen für etwas geben, das ohnehin misslingt? Noch nie hat eine Frau die Schnittentbindung überlebt.«
    »Euer Gnaden …«
    »Die Kirche lehrt, dass der Tod der Mutter abgewartet werden muss, um anschließend das Kind, sofern es noch lebt, herauszuschneiden. Der selige Abt Purchart von St. Gallen, der auf diese Weise auf die Welt kam, ist ein leuchtendes Beispiel dafür. In jedem Fall ist das Leben des Kindes höher zu bewerten als das der Mutter.«
    »Aber bedenkt doch, Euer Gnaden, mit Gottes Hilfe kann ich beider Leben retten! Verbietet es die Kirche denn, gleichermaßen für Mutter und Kind zu beten?«
    »Natürlich nicht. Welch eine Frage.«
    »Dann betet für beide. Es soll mir zwölf schön gezogene Bienenwachskerzen zum Schmuck Eurer Kirche wert sein. Ich bitte Euch herzlich. Und überlasst alles andere mir.«
    Bis dahin hatte das Gespräch den von mir erwarteten Verlauf genommen. Doch nun, da Vater angedeutet hatte, er würde auch ohne den Segen der Kirche zum Skalpell greifen, musste eine Wendung eintreten. Gespannt wartete ich auf Bindschedlers Reaktion. Würde er Vater scharf zurechtweisen? Ihm mit dem Fegefeuer drohen? Ihn gar exkommunizieren?
    Nichts von alledem geschah. Der alte Mann blickte auf seine Füße im Lammfellsack. Eine Weile verging. Schlief er etwa? Nein, er nahm die Heilige Schrift wieder zur Hand und schlug sie auf. »Matthäus zweiundzwanzig, Vers fünfzehn bis einundzwanzig«, murmelte er. Ein Lächeln stahl sich auf sein Krötengesicht. »Welch ein Zufall. Da spricht unser Herr Jesus bei seiner Begegnung mit den Pharisäern und den Herodiern folgende Worte:
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.
Wohlan, Jacob Nufer, in diesem Sinne will auch ich dir antworten.«
    »Was meint Ihr damit, Euer Gnaden?«
    »Ganz einfach: Gib deiner Frau die Hilfe, die sie braucht, und Gott den Gehorsam, den er verlangt.«
    Vater schluckte. »W… Wie kann das geschehen?«, stotterte er. »Ich …«
    Aber schon verstummte er, denn Bindschedler hielt ihm die Hand hin, und ihm blieb nichts anderes übrig, als den edelsteinbesetzten Ring daran zu küssen.
    Die Unterredung war beendet.
     
    Während des ganzen Ritts zurück fragte ich mich, ob Bindschedler die Bibelstelle zufällig oder absichtlich aufgeschlagen hatte. Am Ende kam ich zu dem Schluss, dass es Absicht gewesen war – der kluge Schachzug eines alten Mannes, der einerseits meinem Vater nicht die vorgetragene Bitte abschlagen mochte, andererseits die Interessen der Kirche wahrnehmen musste. Geschickt hatte er es vermieden, weder ja noch nein zu sagen. Und Vater die Entscheidung überlassen. Meine Achtung für den Gottesmann, über dessen Aussehen meine Mitschüler und ich uns so häufig lustig gemacht hatten, stieg erheblich.
    »Hüa!«, rief Vater und gab seinem Braunen einen aufmunternden Klaps. »Wir haben es gleich geschafft. Da vorn ist schon Siegershausen.«
    Im letzten Abendlicht betraten wir unser Haus. Gotthard Iwein, Alphons Wyss und die Wehmütter hielten sich allesamt noch in der Gebärstube auf, gerade so, als wäre die Zeit stehengeblieben. Was sie in den sieben oder acht Stunden unserer Abwesenheit getrieben hatten, mochte der Himmel wissen. Doch immerhin war meine Stiefmutter noch am Leben.
    »Hast du den Segen der Kirche für die Schnittentbindung eingeholt?«, fragte Gotthard Iwein neugierig.
    Vater würdigte ihn kaum eines Blickes, während er seiner Frau eine Haarsträhne aus der Stirn strich. »Der Prälat Bindschedler wird für dich und das Kind beten«, brummte er. Dann verließ er die
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