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Der Marschenmörder

Der Marschenmörder

Titel: Der Marschenmörder
Autoren: Werner Brorsen
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Rötger, ahnte dessen Absicht. „Keine Chance, Herr Justizrat. Der Patient darf nicht gewaltsam geweckt werden.“
    Zu Hause, kopfschüttelnd von der Haushälterin empfangen, nimmt er ein Bad in der großen Holzbalge, kleidet sich neu an, verzehrt stehend ein kaltes Hühnerbein und eilt in sein Bureau in der Justiz-Dienststelle. Den jämmerlichen Zustand seines Gehilfen, der ermattet am Schreibpult steht, ignoriert er und diktiert:
    In der Nacht vom 7. auf den 8.   August wurden der Hofbesitzer Johann Thode im adeligen Gut Campen mit seiner Familie, bestehend aus Frau, Tochter, vier Söhnen und einem Dienstmädchen, soweit bis jetzt ermittelt, gewaltsam ums Leben gebracht. Das an mehreren Stellen angezündete Haus ist abgebrannt, während das Ereignis entdeckt wurde. Die Leichen wurden zum Theil in verkohltem Zustand gefunden, und der einzige Bewohner, der sich noch am Leben befindet, ist in bewußtlosem Zustande. Sämtliche Landesbehörden werden ersucht, auf alles zu achten, was möglicherweise zur Entdeckung dieses Verbrechens dienen kann, insbesonderheit auf verdächtige Personen zu vigilieren, die Reiserouten angehaltener Personen genau zu erforschen und etwaige Verdachtsgründe hierher mitzuteilen.
    Groß Campener Justiariat zu Itzehoe,
    den 9.   August 1866
    F.   Rötger
    Das Schreiben geht per Reitboten sowie über den neu angeschafften Telegraphen an Justizbehörden, Polizeidienststellen und mehrere Zeitungen und löst eine nie erlebte Großfahndung aus. Zugleich bittet Rötger in einem Brief an das Oberkriminalgericht in Glückstadt um die Einsetzung einer Untersuchungskommission.
    Es dunkelt bereits, als Friedrich Rötger seinen erschöpften Gerichtsschreiber nach Hause entlässt. Er weiß, dass auch er sich zur Ruhe begeben müsste nach dem härtesten Tag in seiner gesamten Laufbahn. Doch ihn hat eine nervöse Unruhe gepackt, die den Gedanken an Schlaf vergessen lässt.
    Mit ungezählten Delikten hat sich der promovierte Jurist im Laufe der Jahre befassen müssen: Diebstahl, Erpressung, Kuppelei, Hurerei, Unfug, Tumult, Betrug, Raub, verbotenes Glücksspiel, öffentliche Trunkenheit, Bettelei, Vagabundiererei. Einmal auch mit einem Todesfall. Eine junge Frau misshandelte ihr uneheliches Kind, das an den Folgen starb. Als Hüter der Rechtsordnung, Beobachter deren Einhaltung und Richter bei Verstößen musste er sich mit Nachbarstreit, Erbauseinandersetzungen, Dienstversagen und läppischen Beleidigungsklagen befassen. Sein scharfer Verstand und sein Gespür die für rechtliche Einordnung vorgebrachter Klagen verschafften ihm in Stadt und Land Ansehen und Respekt. Dennoch ahnt er, dass dieses Verbrechen ihn überfordern wird und unter einen Erfolgsdruck setzen, dem er nicht gewachsen ist.
    Erneut greift er zur Feder, ordnet den Einsatz berittener Feldgendarmen an, die sofortige Festnahme jedes noch so gering Verdächtigen. Die Bauern sollen ihre Felder nach Spuren und Beweisstücken absuchen. Scheunen, Schafställe und Heuschober sind in weitem Umkreis um den Tatort sorgfältig zu überprüfen.
    Zugleich gesteht der Justizrat sich ein, dass hektische Betriebsamkeit die Ermittlung nicht voranbringt, solange ihn nicht ein klares Indiz auf die Spur der Täter führt. Dazu bedarf es vor allem der gründlichen Vernehmung des Überlebenden. Morgen, nimmt Rötger sich vor, morgen werde ich ihn befragen. Und wenn ich ihn persönlich wecken muss!
    Der Entschluss beruhigt seine Nerven. Gemächlich lehnt er sich in den Schreibtischsessel zurück, zündet sich eine Zigarre an und holt aus dem Eckschrank eine Flasche trockenen Rotweines, die ansonsten wichtigen Besuchern vorbehalten ist.
    Gegen 10   Uhr am nächsten Tag ist Friedrich Rötger wieder auf dem Thode-Hof. Zufrieden stellt er fest, dass Hinrich Ahrens die üblichen Vorkehrungen getroffen hat. Die abgebrannten Gebäude sind vor dem Betreten Unbefugter gesichert, zwei Männer als Brandwache eingesetzt. Keine Neugierigen weit und breit, wundert sich der Justizbeamte. Weiß er doch, welches Entsetzen in der gesamten Marsch herrscht. Dass über nichts anderes gesprochen, geflüstert, diskutiert wird. Zugleich, so scheint es ihm, lassen Angst und Misstrauen die Menschen den Ort des Grauens meiden. Nur auf dem nahen Stördeich steht eine Gruppe Erwachsener und blickt immer wieder kopfschüttelnd hinüber zum Hof.
    Knapp eine Stunde später betritt Friedrich Rötger das Nachbarhaus und erfährt, dass Timm am Morgen aus 30-stündiger Ohnmacht erwacht ist.
    „Er
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