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Der Marathon-Killer: Thriller

Titel: Der Marathon-Killer: Thriller
Autoren: Jon Stock , Andreas Helweg
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Und ich möchte mir gar nicht ausmalen, was auf den Einflugschneisen nach Heathrow los wäre. Wie geht es übrigens Daniel?«
    Myers wusste sehr genau, das Marchant bei den britischen Geheimdiensten zur Persona non grata geworden war, doch er hatte auch seinen Vater gemocht und war bestürzt
gewesen über die Art und Weise seiner Ausmusterung und die kurz darauf folgende Nachricht von seinem Tod. Jetzt war Marchant ein Waisenkind, was Myers gut nachfühlen konnte. Er selbst war adoptiert worden und nahm an, seine leiblichen Eltern waren tot.
    »Im Augenblick läuft er gerade neben dem Kerl mit dem Gürtel.« Eigentlich hatte sie es ihm nicht sagen wollen, doch sie brauchte seine volle Aufmerksamkeit.
    »Daniel?« Eine Sekunde lang blieb es still in der Leitung. »Gott, was macht er denn da? Ich dachte, er wäre suspendiert.«
    »Jetzt nicht, Paul.«
    »Klar.« Paul hatte einen Gang hochgeschaltet. »Ich habe 2 SOPS auf der anderen Leitung. Ich stelle sie durch.«
     
    Marchant hörte genau zu, während Leila mit ihm besprach, was er als Nächstes zu tun hatte. Ihre Stimme klang anders, zögerlicher, und ließ die gewohnte Zuversicht vermissen. Die Tower Bridge war von Menschen geräumt, sagte sie. Eineinhalb Kilometer vor ihm bei Kilometer zwanzig sollte sich eine Straßensperre von Zivilpolizisten befinden, die mit T-Shirts der Marathon-Ordner bekleidet waren. Sobald er einträfe, würden sie auf die Straße treten und die Läufer mit Megafonen zum Anhalten auffordern, vorgeblich aus Gesundheitsgründen wegen der extremen Hitze. Damit würde der London Marathon zum ersten Mal unterbrochen, doch solche Maßnahmen waren nicht völlig unüblich. (Auch der Marathon in Rotterdam war 2007 wegen extremer Temperaturen abgebrochen worden.) In anderen Worten: Es bestand
die Möglichkeit, dass Pradeeps Komplizen keinen Verdacht schöpften, falls sie zuschauten.
    »Alles in Ordnung bei dir?«, fragte Marchant, nachdem Leila erneut gezögert hatte.
    »Natürlich nicht, verflucht«, antwortete sie.
    Marchant gab den Plan in groben Zügen mitsamt einer Handvoll Geleebohnen an Pradeep weiter, der bei diesen Neuigkeiten Kraft zu schöpfen schien. Die Polizei würde sich so lange wie möglich zurückhalten, damit sich vor ihnen kein Gedränge bildete und ihr Tempo verlangsamte. Außerdem sollten sie sich am rechten Straßenrand halten, wo man eine Gasse für sie bilden würde. Damit Marchant nicht versehentlich aufgehalten wurde, sollte er rufen, er sei Arzt und müsse unbedingt durchgelassen werden.
    »Hast du alles verstanden?«, hakte Leila nach.
    »Was passiert, wenn wir durch die Absperrung sind?«, wollte Marchant wissen. Seine Mutter hatte sich immer einen Arzt in der Familie gewünscht.
    »Sobald ihr euch der Tower Bridge nähert, werden die Amerikaner die Uhren auf vier GPS-Satelliten zwanzigtausend Kilometer über dir umstellen. Wenn ich das Kommando gebe, sollten du und Pradeep langsamer werden und schließlich nur noch gehen. Das Bombeneinsatzkommando stößt dann zu euch und entschärft den Gürtel so schnell wie möglich.«
    »Wie lange haben sie Zeit?«
    »Zwei Minuten ab dem Moment, in dem ihr langsamer werdet.«
    Marchant sagte einige Sekunden lang nichts. Zum ersten Mal begriff er, wie gering seine Überlebenschancen
waren. Irgendwie hatte er geglaubt, alles würde sich regeln lassen, doch jetzt beschlich ihn das Gefühl, dass er Leila vielleicht nie wiedersehen würde. Sie hatte es längst erkannt. Normalerweise fühlte er in solchen Augenblicken akuter Bedrohung eine Art ausgleichender Gerechtigkeit. Seit jenem unglücklichen Tag in Delhi lag schwere Schuld auf ihm: Warum war sein Bruder getötet worden, während er den Unfall unversehrt überstanden hatte? Wann immer das Schicksal sich gegen ihn wandte, wurde ihm diese Last kurz von den Schultern genommen, und Erleichterung trat an die Stelle der Angst. Je größer die Gefahr, desto näher fühlte er sich Sebastian, desto mehr wäre er imstande, ihm in die Augen zu blicken.
    Doch jetzt war es nicht der Fall. Der Schauder höherer Gerechtigkeit oder schicksalhafter Euphorie blieb aus. Sein Körper war so müde wie nie zuvor in seinem ganzen Leben, noch müder als damals in Nairobi, in seiner letzten Nacht als Journalist, als man ihn betrunken aus der Gosse gezogen hatte.
    »Bist du noch da?«, fragte Leila.
    »Ja. Klar.« Wieder eine Pause. Er sah zu Pradeep, der den Eindruck erweckte, er sei in eine Art Trance verfallen, und stur nach vorn starrte, ohne die
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