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Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche.
Autoren: Charles Bukowski
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der Kapo zu mir herüber und sagte: »Ich kann Ihnen leider keinen Hel- fer mitgeben.«
»Das macht nichts«, sagte ich.
Und wie es was machte! Erst später fand ich heraus, daß er Jonstones bester Kumpel war.
Die Route begann direkt am Postamt. Die erste von zwölf Schleifen. Ich überließ mich dem strömenden Regen und ging den Berg hinunter, Haus um Haus. Es war das Arme- leuteviertel der Stadt - kleine Häuser und Hinterhöfe mit Briefkästen voller Spinnen, Briefkästen, die an einem Nagel hingen, alte Frauen in den Fenstern, die sich ihre eigenen Zigaretten drehten und Tabak kauten und ihren Kanarienvögeln etwas vorsummten und mich anstarrten, einen Idioten, im Regen verloren.
Wenn Unterhosen naß werden, rutschen sie, rutschen im- mer weiter, hängen bald schon um deine Hinterbacken, ein nasser Lumpen, der nur noch durch den Zwickel deiner Hosen festgehalten wird. Der Regen verwischte die Tinte auf einigen Briefen; eine Zigarette wurde so schnell naß, daß man nicht rauchen konnte. Man mußte immer wieder in die Ledertasche greifen, um Zeitschriften herauszuholen. Es war die erste Schleife, und ich war schon erschöpft. Meine Schuhe waren vom Schlamm überzogen und fühlten sich an wie Stiefel. Alle paar Augenblicke rutschte ich aus und konnte nur mit Mühe einen Sturz vermeiden.
Eine Tür ging auf, und eine alte Frau, stellte die Frage, die man hundertmal am Tag zu hören bekommt:
»Wo ist denn heute der Postbote, der sonst immer kommt?«
»Gnädigste, BITTE, woher soll ich denn das wissen? Wo- her zum Teufel soll ich denn das wissen? Ich bin hier, und er ist irgendwo anders!«
»Oh, sind Sie aber ein ungalanter Mensch!«
»Ungalant?«
»Jawohl.«
Ich lachte und drückte ihr einen fetten, durchnäßten Brief in die Hand und ging weiter zum nächsten Haus. Vielleicht wird es weiter oben am Berg besser, dachte ich.
Eine andere alte Tante, die nett zu mir sein wollte, sagte: »Möchten Sie nicht ein Weilchen hereinkommen und eine Tasse Tee trinken und trocknen?«
»Gnädigste, sehen Sie denn nicht, daß wir nicht mal Zeit haben, unsere Unterhosen hochzuziehen?«
»Ihre Unterhosen hochzuziehen?«
»JAWOHL, UNSERE UNTERHOSEN HOCHZUZIE- HEN!« schrie ich sie an und marschierte wieder in den Re- gen hinaus.
Ich hatte die erste Schleife hinter mir. Es hatte etwa eine Stunde gedauert. Noch elf Schleifen, das sind also elf Stunden. Unmöglich, dachte ich. Die mußten mir gleich die schlimmste Route angehängt haben.
Bergauf war es noch schlimmer, denn man mußte sein eigenes Gewicht hochschleppen.
Der Mittag kam und ging. Ohne Essen. Ich war auf der vierten oder fünften Schleife. Selbst an einem trockenen Tag wäre die Route unmöglich gewesen. Doch im Regen war sie so unmöglich, daß man gar nicht darüber nachden- ken durfte.
Schließlich war ich so naß, daß ich das Gefühl hatte, zu ertrinken. Ich fand einen überdachten Hauseinang, des- sen Vordach einigermaßen dicht war, und stellte mich dar- unter, und es gelang mir, eine Zigarette anzuzünden. Ich hatte vielleicht ungestört drei Züge gemacht, als ich hinter mir die Stimme einer weiteren alten Tante hörte:
»BRIEFTRÄGER! BRIEFTRÄGER!«
»Ja, was ist denn?« fragte ich.
»IHRE POST WIRD NASS!«
Ich schaute zu meiner Tasche hinunter, und tatsächlich, ich hatte die Lederklappe nicht zugemacht. Durch ein Loch im Dach waren vielleicht ein, zwei Tropfen in die Tasche gefallen.
Ich ging weiter. Jetzt reicht's, dachte ich, nur ein Idiot läßt sich das bieten, was ich hier durchmache. Ich suche mir jetzt ein Telefon, und dann sage ich denen, wo sie ihre Post abholen können. Sollen sie sich doch den Job an den Hut stecken. Jonstone bleibt Sieger.
Kaum hatte ich mich zur Kündigung entschlossen, fühlte ich mich auch schon besser. Durch den Regen sah ich ein Gebäude am Fuß des Hügels, das so aussah, als habe es vielleicht ein öffentliches Telefon. Ich war etwa in der Mitte der Steigung. Als ich unten ankam, sah ich, daß es ein
kleines Cafe war. Ein Ofen war in Betrieb. Scheiße, Mann, dachte ich, erst will ich mal ein bißchen trocknen. Ich zog meinen Regenmantel aus und nahm die Mütze ab, warf die Posttasche auf den Boden und bestellte eine Tasse Kaffee.
Es war sehr schwarzer Kaffee. Alter Kaffeesatz neu auf- gebrüht. Der übelste Kaffee, den ich je getrunken hatte, aber er war heiß. Ich trank drei Tassen und saß etwa eine Stunde da, bis ich vollkommen trocken war. Dann schaute ich hinaus: es hatte aufgehört zu regnen! Ich ging hinaus und
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