Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche.
Autoren: Charles Bukowski
Vom Netzwerk:
erklomm die Steigung und fing wieder an, Briefe zu- zustellen. Ich ließ mir Zeit und schaffte die ganze Route. Bei der zwölften Schleife brach die Dämmerung herein. Als ich zum Postamt zurückkehrte, war es dunkel. Der Zustel- lereingang war verschlossen.
Ich trommelte an die Tür aus Blech.
Ein kleiner warmer Angestellter kam und machte die Tür auf.
»Was zum Teufel haben Sie so lange getrieben?« schrie er mich an.
Ich ging zum Verteilerkasten hinüber und warf die nasse Tasche hin, voll mit Sendungen, die nicht zustellbar waren, falsch einsortiert worden waren oder persönlich abgeholt werden mußten. Dann holte ich meinen Schlüssel heraus und warf ihn in den Kasten. Es war Vorschrift, bei Erhalt und Rückgabe des Schlüssels zu unterschreiben. Ich küm- merte mich nicht darum. Er stand einfach da.
Ich schaute ihn an.
»Wenn du noch ein Wort sagst, Kleiner, wenn du auch nur niest, dann schlag ich dich tot, weiß Gott!«
Der Kleine sagte nichts. Ich stempelte und ging.
Am nächsten Morgen wartete ich darauf, daß Jonstone auf seinem Stuhl herumwirbelte und mich zur Rede stellte. Er tat so, als sei nichts geschehen. Der Regen hörte auf, und alle Regulären waren wieder gesund. Stone schickte drei Aushilfen wieder weg, ohne Bezahlung, darunter auch mich. In dem Augenblick liebte ich ihn beinahe.
Ich ging heim und schlüpfte an Bettys warmen Arsch.
    11
    Doch dann fing der Regen wieder an. Stone teilte mich für die Briefkastenentleerung am Sonntag ein. Man holte sich in der Garage in der Weststadt einen Lieferwagen und einen Pappdeckel. Auf dem Pappdeckel stand ein Verzeich- nis der Straßen, der Leerungszeiten und der besten Ver- bindungen von Briefkasten zu Briefkasten. Zum Beispiel: 2:32 h, Ecke Beecher und Avalon, L3 R2 (also links drei Häuserblocks, rechts zwei) 2:35 h, und man fragte sich, wie man innerhalb von drei Minuten erst einen Kasten leeren, fünf Häuserblocks weit fahren und dann noch einen Kasten leeren sollte. Allein um einen Sonntagsbriefkasten zu lee- ren, brauchte man manchmal fünf Minuten. Und die An- weisungen waren nicht genau. Manchmal zählten sie eine Einfahrt als Straße, und manchmal eine Straße als Ein- fahrt. Man wußte nie, wo man war.
    Es war ein richtiger Dauerregen, nicht besonders stark, aber eben ohne Unterbrechung. Der Bezirk war neu für mich, aber es war wenigstens hell genug, daß ich die Anweisungen lesen konnte. Doch mit Einbruch der Dun- kelheit wurde es immer schwieriger zu lesen (das ein- zige Licht kam vom Armaturenbrett) und die Briefkästen zu finden. Außerdem stieg das Wasser auf der Straße, und mehr als einmal stand ich bis zu den Knöcheln im Wasser.
    Dann ging die Beleuchtung am Armaturenbrett kaputt. Ich konnte die Anweisungen nicht mehr lesen. Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ohne den Pappdeckel war ich wie ein Mann, der sich in der Wüste verirrt hat. Doch mein Glück hatte mich noch nicht ganz verlassen, noch nicht. Ich hatte zwei Schachteln Streichhölzer bei mir, und bevor ich zu einem neuen Briefkasten fuhr, zündete ich immer ein Streichholz an, prägte mir die Angaben ein und fuhr wei- ter. Es war mir noch einmal gelungen, meinem Schicksal zu entgehen, diesem Jonstone da oben im Himmel, der auf mich herabschaute und mich beobachtete.
    Dann fuhr ich um eine Ecke, sprang aus dem Wagen, um den Briefkasten zu entleeren, und als ich wieder einstieg, war der Pappdeckel VERSCHWUNDEN!
    Jonstone im Himmel, sei mir gnädig! Ich war in Nacht und Regen verloren. War ich denn tatsächlich ein Idiot? Geriet ich durch eigene Schuld dauernd in Schwierigkeiten? Möglich war das schon. Möglich, daß ich geistig minder- bemittelt war, daß ich Glück hatte, überhaupt am Leben zu sein.
    Der Pappdeckel war mit einem Stück Draht am Armatu- renbrett befestigt gewesen. Ich vermutete, daß er bei der letzten scharfen Kurve aus dem Wagen geflogen war. Ich stieg aus, die Hosen bis über die Knie hochgerollt, und fing an durch das Wasser zu waten, das vielleicht dreißig Zentimeter tief war. Es war dunkel. Ich würde das gott- verdammte Ding nie finden! Ich irrte umher, zündete lau- fend Streichhölzer an — aber nichts, nichts. Er war davon- geschwommen. Als ich zur Ecke kam, war ich wenigstens so vernünftig, festzustellen, in welcher Richtung sich die Strömung bewegte, und ihr zu folgen. Ich sah einen Gegen- stand im Wasser treiben, zündete ein Streichholz an, und da war er! Der Pappdeckel. Unmöglich! Ich hätte ihn vor Freude abküssen können. Ich watete zum
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher