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Der Mann mit der Ledertasche.

Der Mann mit der Ledertasche.

Titel: Der Mann mit der Ledertasche.
Autoren: Charles Bukowski
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blöd. Er ist offensichtlich ein Sadist«,
sagte ich.
»Wie lange sind Sie schon bei der Post?«
»Drei Wochen.«
»MR. JONSTONE IST SEIT DREISSIG JAHREN BEI
DER POST!«
»Was hat denn das damit zu tun?«
»Ich sagte bereits, MR. JONSTONE IST EIN FEINER
MANN!«
Ich glaube, der arme Kerl wollte mich tatsächlich um- bringen. Er hat bestimmt mit Jonstone geschlafen.
»Na schön«, sagte ich, »Jonstone ist ein feiner Mann. Ver- gessen wir die ganze verfickte Sache.« Dann ging ich und
nahm den nächsten Tag frei. Ohne Bezahlung, versteht sich.
    4
    Als mich Jonstone tags darauf um fünf Uhr morgens sah, wirbelte er in seinem Drehstuhl herum, und sein Gesicht und sein Hemd hatten die gleiche Farbe. Aber er sagte nichts. Mir war es gleich. Ich hatte bis um zwei Uhr mor- gens gesoffen und Betty gevögelt. Ich lehnte mich zurück und machte die Augen zu.
    Um sieben Uhr wirbelte Jonstone wieder herum. All die anderen Aushilfen hatten Arbeit bekommen oder waren zu anderen Postämtern geschickt worden, die Hilfe brauchten.
    »Das ist alles, Chinaski. Nichts für Sie heute.«
    Er beobachtete mein Gesicht. Scheiße, Mann, das machte mir doch nichts aus. Ich sehnte mich nur nach meinem Bett und etwas Schlaf.
    »Okay, Stone«, sagte ich. Unter den Briefträgern war er »Stone«, doch ich war der einzige, der ihn auch so anredete.
Ich ging hinaus, das alte Auto lief gleich an, und schon bald war ich wieder bei Betty im Bett.
»Hank! Wie schön!«
»Find ich auch, Baby!« Ich drückte mich an ihren war- men Arsch und war in 45 Sekunden eingeschlafen.
    5
    Doch am nächsten Morgen lief es genau gleich.
»Das ist alles, Chinaski. Nichts für Sie heute.«
Eine Woche lang ging das so. Jeden Morgen saß ich von
    fünf bis sieben da und bekam kein Geld. Ich wurde sogar von der Liste gestrichen, die das Leeren der Briefkästen bei Nacht einteilte.
    Dann erzählte mir Bobby Hansen, eine der älteren Aus- hilfen, was die Dienstjahre anging: »Mit mir hat er das auch einmal gemacht. Wollte mich aushungern.«
    »Das macht mir alles nichts aus. Ich kriech ihm nicht in den Arsch. Und wenn ich hier aufhören oder verhungern muß.«
    »Das brauchst du gar nicht. Melde dich jeden Abend beim Prell-Postamt. Sag dem Kapo, daß du keine Arbeit be- kommst, und er läßt dich als Eilbote aushelfen.«
    »Geht das tatsächlich? Verstößt das gegen keine Vor- schrift?«
»Ich hab alle vierzehn Tage meine Lohntüte bekommen.«
»Danke, Bobby.«
    6
    Ich weiß nicht mehr genau, wann man sich melden mußte. Abends um sechs oder sieben. So ungefähr.
Man saß dann mit einer Handvoll Briefe da und stellte sich mit Hilfe eines Stadtplans seine Route zusammen. Es war einfach. Alle die Eilboten ließen sich dabei viel mehr Zeit, als sie tatsächlich brauchten, und ich spielte ihr Spiel- chen mit. Ich ging aus dem Haus, wenn sie alle gingen, und kam auch wieder mit ihnen zurück.
Dann wiederholte sich alles. Man hatte Zeit, unterwegs einen Kaffee zu trinken, Zeitung zu lesen, sich wie ein Mensch zu fühlen. Sogar zum Mittagessen blieb Zeit. Wenn ich mal einen Tag frei haben wollte, nahm ich eben frei. An einer der Routen wohnte dieses gutgebaute junge Ding, das jeden Abend eine Eilsendung bekam. Sie stellte sexy Klei- der und Nachthemden her und trug sie. So gegen elf Uhr abends rannte man die steile Treppe zu ihrer Haustür hoch, läutete und gab ihr den Eilbrief. Sie rang kurz nach Luft, etwa so: »OOOOOOOOOOhhhhhHH!«, und sie blieb ganz dicht vor einem stehen, ganz dicht, und sie ließ einen nicht weggehen, während sie las, und dann sagte sie: »OOOOOoooo, gute Nacht, VIELEN Dank!«
»Bitte sehr«, konnte man nur sagen und mit einem Pimmel in der Hose davontraben, der einem Stier alle Ehre ge- macht hätte.
Doch es war nur von kurzer Dauer. Es kam mit der Post, nach etwa anderthalb Wochen Freiheit.
    »Sehr geehrter Herr Chinaski!
Sie haben sich sofort im Oakford-Postamt zu melden. Wenn Sie dieser Anweisung nicht Folge leisten, müssen
    Sie mit disziplinarischen Maßnahmen oder Ihrer Entlas- sung rechnen.

    A. E. Jonstone, Insp., Oakford-Postamt.« Ich mußte in die Höhle des Löwen zurück.

    7

    »Chinaski! Route 539!«
    Die schlimmste im ganzen Bezirk. Miethäuser mit Brief- kästen, an denen die Namen abgekratzt waren oder die überhaupt keinen Namen trugen, und das unter winzigen Glühbirnen in dunklen Hauseingängen. Alte Tanten, die in allen Straßen in den Hauseingängen standen und stets dieselbe Frage stellten, als seien sie eine Person mit einer
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