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Der Mann mit dem roten Zylinder

Der Mann mit dem roten Zylinder

Titel: Der Mann mit dem roten Zylinder
Autoren: Wolfgang Ecke
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geheimnisvoller Schatten ein Mann an dem Seil. Seine Hände greifen Stück um Stück nach unten. Sie gleichen hellen Flecken, die, wie bei einem Mechanismus, im Gleichtakt in kurzen Abständen abwärts gleiten.

    Keine Minute vergeht, und der Schatten hat das Fenster des fünften Stockwerks erreicht.
    Vorsichtig schiebt er sich daran vorbei.
    Nach einer weiteren Minute passiert er das darunter liegende Fenster in der vierten Etage.
    Immer noch weiter hangelt sich der Schatten mit unheimlicher Präzision an dem Seil hinunter.
    Da...
    Seine Füße ertasten den Sims des Fensters im dritten Stock. — Jetzt haben sie festen Halt gefunden.
    Der Mann läßt das Seil los. — Sekundenlang scheint er verschnaufen zu wollen. Dann tasten seine Hände über das Fenster. — Es ist nur angelehnt. Vorsichtig drückt er die Fensterflügel nach innen auf.
    Kein Geräusch ist zu hören. Langsam läßt er sich in das Zimmer gleiten.
    Der Schein einer winzigen Taschenlampe huscht über den Boden des Raumes, erfaßt für Bruchteile einer Sekunde einen Schrank, einen großen Ankleidespiegel, zwei Sessel, eine Frisiertoilette und — bleibt am Pfosten des Bettes stehen.
    Madame Josefine Dupont bewegt unruhig die Arme im Schlaf. Ihre Lippen murmeln einige unverständliche Laute. Vielleicht träumt sie von dem Mißgeschick, das ihr heute bei der Eröffnung der Französischen Woche in Stockholm widerfahren ist.
    Der Fremde ist näher getreten.
    Er ist von mittlerer Größe und mit einem schwarzen Trainingsanzug bekleidet. Seine Füße stecken in einer Art indianischer Mokassins.
    Als er in diesem Augenblick noch einen Schritt nach vorn machen will, geschieht es. Er stößt mit dem Fuß an eine Vase, die aus unerfindlichen Gründen neben einem der Sessel steht. Es ist nur ein dumpfes Poltern. Doch es genügt, um Madame Dupont aus ihrem anscheinend leichten Schlummer hochzuschrecken.
    Sie hat sich im Bett aufgerichtet und starrt mit dem Ausdruck allergrößten Entsetzens auf den Fremden in ihrem Zimmer. Dabei kann sie nur seine U mr isse wahrnehmen, die sich gegen das Fenster im Hintergrund abheben.
    Als sie zu einem gellenden Schrei ansetzen will, hebt der Fremde rasch den Zeigefinger über die Lippen und zischt ihr ein scharfes „Pssst“! zu.
    Sie preßt die Hand vor den Mund und starrt entsetzt auf den unheimlichen Schatten, dessen Hand in diesem Augenblick in die Tasche fährt.
    Wieder blitzt der Schein seiner kleinen Taschenlampe auf.
    Wie hypnotisiert starrt Madame Dupont auf die Hand des Fremden, die sich in den Schein der Lampe hebt. In dieser Hand befindet sich — eine Perlenkette.
    Josefine Duponts Augen weiten sich. Ihre Perlenkette. Sie hat sie auf den ersten Blick erkannt. Der Fremde holt kurz aus. — Mit einem feinen Klirren fällt die Kette vor ihr aufs Bett.
    Dann geschieht noch etwas...
    Wieder verschwindet die Hand des Unheimlichen. Jetzt hält sie etwas Flaches, Rundes. Plötzlich wird aus dem Flachen, Runden ein plastischer Gegenstand. Als der Lichtschein einen kurzen Kreis beschreibt, erkennt Madame Dupont: Es ist ein roter Zylinderhut.
    Ihre Kehle ist wie zugeschnürt, ihre Glieder sind wie gelähmt. Sie will sich erheben, will etwas sagen, zu nichts ist sie fähig. Unbeweglich muß sie Zusehen, wie der Mann mit dem roten Zylinder geschmeidig wie eine Katze aus dem Fenster gleitet und in einem Nichts verschwindet. —
    Langsam löst sich ihre Erstarrung. — Ihre Hand tastet nach der Nachttischlampe. — Als das warme gelbliche Licht das Zimmer erhellt, ist auch Madame Dupont wieder fähig zu denken. Mit einem Satz springt sie aus dem Bett und eilt ans Fenster.

    Es ist zu spät. Keine Spur mehr von dem Mann mit dem roten Zylinder. Es ist, als habe sie einen aufregenden Traum gehabt. Dagegen spricht nur — die Perlenkette auf ihrem Bett.
    Fast zur gleichen Zeit biegt einige Straßen entfernt eine Taxe in die Kungsgatan, Stockholms Hauptgeschäftsstraße, ein.
    Nach wenigen hundert Metern Fahrt stoppt sie vor einem modernen siebenstöckigen Bürohaus ab.
    Es ist die Nummer 18.
    Ein Herr im dunkelblauen, elegantgeschnittenen Maßanzug, mit einem hellen Sommermantel über dem Arm, steigt aus, zahlt und geht auf die messingverzierte Eingangstür zu. Dreißig Sekunden später betritt er den Fahrstuhl.
    Der helle Summerton und eine erleuchtete Zahlenreihe, die das jeweilige Stockwerk anzeigt, verraten die Aufwärtsbewegung.
    Sechster Stock.
    Der Herr verläßt den Fahrstuhl und steuert auf eine Tür zur Rechten zu. Auf
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