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Der Mann hinter dem Vorhang

Der Mann hinter dem Vorhang

Titel: Der Mann hinter dem Vorhang
Autoren: Félix J. Palma
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loderte, wenn sie mit ihm zusammen war. Es war eine Zeit, in der es als unschicklich galt, die Karten des Lebens neu zu mischen, sodass sie das Fieber in ihren Adern nur lindern konnten, indem sie sich der schäbigen Mechanik heimlicher Treffen hingaben, bei denen sie sich verwerflich vorkamen. Bei einer dieser Begegnungen hörten sie den Schlüssel des Ehemannes früher als erwartet im Türschloss knirschen, woraufhin seine Geliebte ihn zwang, sich hinter dem Vorhang zu verstecken. Dort wohnte er dem Wiedersehen bei und dem zähen Verlauf der folgenden Stunden, aus denen bald Tage wurden und dann Monate, in denen er nichts anderes ersehnte, als dass sie sich zu ihren Gefühlen bekennte und den Vorhang beiseitezöge, um jenen Kuss zu vollenden, der immer noch auf seine Erfüllung wartete. Doch dieser Augenblick kam nie. Mit von Tränen geröteten Augen sah er sie gedankenvoll auf dem Sofa sitzen, während draußen die Blätter an den Bäumen gelb wurden, sah sie wie eine gequälte Seele durch die Wohnung gehen und sich von der frömmelnden Wärme des Öfchens einlullen lassen; doch des Nachts, wenn sein Rivale, von den steigenden Säften des Frühlings angespornt, die Hand nach der Frau ausstreckte, zeigten ihm die Seufzer der Geliebten, dass sie im tugendhaften Lebenswandel erzogen worden war, was für ihn bedeutete, dass er aller Ungebührlichkeit zu entsagen hatte und akzeptieren musste, dass das Leben einer unabänderlichen Ordnung gehorchte, so wie es die Wartenden in der Schlange beim Metzger taten. Er gab aber trotzdem nicht auf und blieb hinter dem Vorhang, vertraute darauf, dass, wenn schon nicht sie, wenigstens das Leben selbst mit seinen Tücken und Pirouetten dafür sorgte, dass der trennende Vorhang eines Tages beiseitegeschoben würde. Dieser Tag schien tatsächlich zu kommen, als Virtudes’ Ehemann plötzlich verschwand. Sie kam von einem Spaziergang mit den Freundinnen zurück und fand ihn nicht mehr in der Wohnung. Sie wartete die ganze Nacht, aber er kam nicht zurück. Als er auch in den folgenden Nächten nicht kam, ahnte sie, dass er den Mann hinter dem Vorhang entdeckt und sich nicht imstande gesehen hatte, ein Dasein weiterzuführen, das er für eine Farce halten musste. Jetzt glaubte der Mann hinter dem Vorhang, dass es für sie keinen Grund mehr gab, nicht den Vorhang beiseitezuziehen und mit ihm glücklich zu werden. Sie jedoch war der Überzeugung, dass eigenes Glück nicht auf dem Unglück anderer errichtet werden kann, und hatte sich entschlossen, auszuziehen und die Wohnung zu vermieten, bis sie die nötige Kraft oder den Anstand aufbrächte, die Liebe mitzunehmen, die hinter dem Vorhang auf sie wartete.
    Nach allem war mein namenloser Gesprächspartner dennoch überzeugt, dass ihm nichts Besseres im Leben passiert war, als Virtudes kennenzulernen, obwohl sie ihn zu diesem statischen Dasein verurteilt hatte, in dem allein das pünktliche Pochen seines Herzens ihn daran erinnerte, dass er noch nicht tot war. Da aber alles Schlechte auch sein Gutes hat, hatte er es verstanden, die kleinen Freuden seiner freiwilligen Isolation zu entdecken. So hatte sich der Vorhang mit der Zeit vom Versteck zu einem bevorzugten Aussichtspunkt gewandelt, von dem aus er nicht nur die Ereignisse der Welt im Fernseher verfolgen konnte, sondern ebenso Freud und Leid jener einzigartigen Familie, die ihre Weihnachtsgeschenke hinter dem Vorhang versteckte, als wollte sie, dass er sie bewachte. Und da er nur wie ein mürrischer Gott hinter dem Vorhang stehen und beobachten, aber nichts unternehmen konnte, war ihm klargeworden, dass das Leben eine üble Scharade war; ein Rätsel, dessen Lösung Entscheidungen forderte, die immer einen Verlust zur Folge hatten, sodass es das Beste für ihn war, sich in sein Dasein als Totem zu fügen, das ihm zwar gewisse Vergnügen vorenthielt, andererseits aber auch Gewissensbisse und Enttäuschungen ersparte.
    Sein Bericht vermochte meinen Verdacht jedoch nicht restlos auszuräumen. In Martas Verhalten entdeckte ich mindestens ein Dutzend Hinweise, die darauf deuteten, dass sie mich ebenso anhaltend wie unbekümmert betrog. Der Selbstverständlichkeit, mit der sie nackt durch die Wohnung lief, zum Beispiel, schien mir jetzt nicht mehr die geringgeschätzte Männlichkeit unseres Einwohners zugrunde zu liegen, sondern eine Folge der Vertrautheit mit dem Liebhaber zu sein. Und obwohl ich den Eindruck gehabt hatte, dass der Mann aufrichtig gewesen war, bestand dennoch die
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