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Der Mann hinter dem Vorhang

Der Mann hinter dem Vorhang

Titel: Der Mann hinter dem Vorhang
Autoren: Félix J. Palma
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demselben aufgesetzten Lächeln hin, mit dem man die furchtbaren Geschenke entgegennimmt, die bei einer Hochzeit unvermeidlich sind.
    Es war jedoch nicht das Monopol unserer Familie, über Absichten und Wesen des Mannes hinter dem Vorhang zu spekulieren. Auch mein Kollege Soriano, der im Büro neben mir saß, erlaubte sich in den Kaffeepausen eine Meinung, die jedoch, da er eine durch und durch prosaische Natur war, nie philosophische Höhen erklomm, sondern strikt auf der sexuellen Ebene blieb; die einzige, die ihn offenbar interessierte. Man konnte doch zwei und zwei zusammenzählen, oder? Arbeitete Marta nicht zu Hause, saß in ihrem Arbeitszimmer, während ein Fremder im Wohnzimmer hinter dem Vorhang lauerte? Wie lange am Stück konnte man Milton übersetzen, bis man müde wurde, bis man aufstand, um sich ein Glas Wasser aus der Küche zu holen oder eine erfrischende Dusche zu nehmen oder – warum nicht? – hemmungslos mit dem Mann hinterm Vorhang zu vögeln? Wie konnte es sein, dass ich nie einen Gedanken an das Naheliegendste verschwendet hatte; daran, dass der Fremde während meiner Bürostunden in der Wohnung schalten und walten konnte, wie er wollte, sich aneignete, was mir gehörte, mein trautes Heim in einen Sündenpfuhl verwandelte? Soriano war ein armer Hund, der manchmal mitten am Tag aus dem Büro verschwand, um für seine Frau die absurdesten Aufträge zu erledigen, und anfangs ließen mich seine abgründigen Phantasien gänzlich unberührt. Nicht weil ich Marta blind vertraute, sondern weil ich mir absolut nicht vorstellen konnte, dass der Mann hinter dem Vorhang seine jahrelange Bewegungslosigkeit aufgab und aus seinem Versteck geschlichen kam wie die griechischen Krieger aus dem Bauch des Trojanischen Pferdes. Außerdem war da ja noch die Großmutter; ein sabbernder Aufpasser, der die Libido des heißblütigsten Draufgängers erkalten lassen würde. Erst als wir sie wieder einmal ins Krankenhaus einliefern mussten, ging das Samenkorn, das mir ins Hirn zu pflanzen Soriano sich zur Aufgabe gemacht zu haben schien, andeutungsweise auf, nachdem Marta auf meine Frage, wie lange ihre Mutter in der Klinik bleiben müsse, mit verträumtem Lächeln geantwortet hatte: «Ich hoffe, für immer.» Nach Sorianos verderblichen Einflüsterungen konnte die Bemerkung zwar bedeuten, dass Marta hoffte, der Familie die lästige Gegenwart ihrer Mutter für möglichst lange Zeit zu ersparen; ebenso gut aber konnte sie auch die freudige Gewissheit zum Ausdruck bringen, dass den heimlichen Ausschweifungen nun keine Grenzen mehr gesetzt waren.
    Eines Nachts hatte ich genug davon, wegen grundloser Verdächtigungen nicht einschlafen zu können, und so stand ich auf und ging ins Wohnzimmer, um zum ersten Mal das Wort an den Mann hinter dem Vorhang zu richten. Er schlief den Schlaf des Gerechten, schnarchte sogar auf eine nicht ganz kunstlose Weise, die wie das Schnurren gewisser Elektrogeräte klang. Ich stellte mir einen Stuhl vor ihm hin und fragte ohne Umschweife, ob er sich mit meiner Frau vergnüge. Es dauerte eine Weile, bis er ganz wach war und begriff, dass der Vorstand jener Familie zu ihm sprach, die ihn wie einen Parasiten bei sich duldete. Ich hörte, wie er sich geräuschvoll räusperte, dann drang durch den Vorhang ein freundlich sanftes Stimmchen, das mir zuerst einen alle Anstandsregeln überflügelnden Gruß entrichtete und mich dann informierte, dass er meine Frau bislang nicht einmal zur Kenntnis genommen habe, obwohl er sicher sei, dass sie eine ebensolche Attraktivität besitze wie ich selbst. Und als fühle er sich für die Stille verantwortlich, die sich danach im Wohnzimmer ausbreitete, unternahm er den schüchternen Versuch, sie zu überwinden, indem er sich noch ein wenig weiter mit dem Thema befasste, und als er merkte, dass ich ihn nicht zu unterbrechen gedachte, fuhr er fort mit einer Rede, die erstaunlich schnell vertraulich wurde. Er erklärte mir, für Liebe sei kein Platz mehr in seinem Herzen. Er interessiere sich nur für eine einzige Frau, nämlich die, deren Rückkehr er hinter dem Vorhang erwarte. Vor über siebzig Jahren habe er sich in Virtudes verliebt, und es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen, die von ihr erwidert wurde. Doch wie das Leben so spielte, hatten sie sich drei Jahre zu spät kennengelernt; die drei Jahre nämlich, die sie mit einem Mann verheiratet war, für den sie nicht mehr als eine vage Zuneigung empfand, nicht zu vergleichen mit der Leidenschaft, die in ihr
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