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Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry

Titel: Der Mann, der zweimal starb Kommissar Morry
Autoren: Hans E. Koedelpeter
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hob erst wieder den Kopf, als der Priester neben ihn trat. Er versuchte nach seinen Händen zu greifen, aber die schweren Fesseln an den Handgelenken hinderten ihn daran. Gierig sog er die tröstenden und verheißungsvollen Worte des Geistlichen in sich auf. Laut und andächtig betete er das Vaterunser mit. Er merkte nicht, daß gegen Ende des Gebets eine Hanfschlinge sich würgend um seinen Hals legte. Er wußte auch nichts davon, daß der Scharfrichter einen Hebel betätigte, der rasselnd die Falltür öffnete. Joseph Hattan sackte schwer nach unten. Das Seil straffte sich. Der schwere Knoten in seinem Nacken brach ihm den Halswirbel. Der strafenden Gerechtigkeit war Genüge getan. Genau vier Minuten später stellte der Gerichtsarzt Dr. Berkins einwandfrei und zuverlässig den Tod des Delinquenten fest. Man nahm den Leichnam ab und legte ihn in einen Fichtensarg. Dann wurden die sterblichen Überreste Joseph Hattans zur Verbrennung freigegeben.
     
    2
     
    Evelyn Bloom war ehrlich überrascht, als ihr Mann an diesem Abend nach Hause kam. Auf alles wäre sie gefaßt gewesen, auf Streit, Vorwürfe und unflätige Beschimpfungen. Aber sein freundliches Lächeln und seine fröhlichen Worte warfen sie buchstäblich um. Zuerst glaubte sie, er sei betrunken. Sie konnte sich diesen Wandel nicht anders erklären. Aber schließlich mußte sie einsehen, daß er so nüchtern war wie sonst.
    „Was hast du heute?“ fragte sie beklommen. „Bist du befördert worden? Oder steht eine Gehaltszulage in Aussicht?“
    „Nichts von alledem“, sagte Oliver Bloom in heiterer Ausgelassenheit. „Zieh dich um, Liebling! Wir wollen heute Abend ganz groß ausgehen. Meine Stimmung ist so gut, daß ich mit dir zusammen feiern möchte.“
    „Ist das dein Ernst?“ fragte seine Gattin scheu.
    „Natürlich ist es mein Ernst. Warum zögerst du so lange? Zieh dich um. Wir werden in einem guten Lokal zu Abend essen.“
    Evelyn Bloom wollte etwas sagen, aber dann wandte sie sich achselzuckend ab und ging hinaus in das gemeinsame Schlafzimmer. Sie öffnete den großen Schrank, nahm Wäsche und ein duftiges Abendkleid heraus und begann, sich vor dem Spiegel umzukleiden. Wie alle Evastöchter, so stellte auch sie mit sichtlicher Befriedigung fest, daß sie noch immer jung war. Sehr jung sogar. Viel jünger als ihr Mann. Ihr Körper war straff und elastisch. Die dunklen Haare waren kurz geschnitten und kokett in die Stirn gelegt. Das Gesicht brauchte kaum Puder und Schminke, es erstrahlte auch so in frischen Farben. Etwa zwanzig Minuten vergingen, bis Evelyn
    Bloom wieder im Wohnzimmer erschien. Sie sah bezaubernd und anmutig aus wie ein junges Mädchen. Seltsam, daß sie so ganz und gar nicht zu ihrem Gatten paßte.
    Er wirkte trotz seiner heiteren Laune steif und hölzern gegen sie. Obwohl er nun einen dunklen Abendanzug trug, wirkte er weder festlich noch elegant. Er sah eher aus wie ein kleiner Handelsvertreter, der sich tagaus, tagein die Füße müde läuft.
    „Können wir gehen?“ fragte er linkisch.
    Evelyn Bloom sagte nichts. Sie sann noch immer über sein verändertes Benehmen nach. Was hatte es zu bedeuten? Wollte er sich mit ihr versöhnen? Oder brütete er wieder über irgendwelchen törichten Racheplänen? Wollte er sie nur ausführen, um sie öffentlich zu demütigen? Oder hatte er wirklich im Sinn, ihr eine Freude zu bereiten?
    Nein, daran konnte sie nicht glauben. Sie hatte in den letzten Monaten zu viele Qualen und Erniedrigungen an der Seite dieses Mannes erlebt. Sie war gewöhnt, von ihm mißachtet und verhöhnt zu werden. Seine giftigen Vorwürfe waren ihr in Fleisch und Blut übergegangen.
    „Wohin gehen wir?“ fragte sie gepreßt.
    „Das wird nicht verraten“, erwiderte er mit starrem Lächeln.
    „Es soll ja eine Überraschung sein. Komm! Ich habe den Wagen unten vor der Haustür geparkt.“
    Sie gingen die Treppe hinunter. Der Hausmeister grüßte sie respektvoll. Er hielt sie für ein vorbildliches Ehepaar. Als sie auf die Straße traten, folgten ihnen neugierige Blicke aus allen Fenstern. Diese Blicke begleiteten sie, bis sie im Wagen saßen.
    Oliver Bloom preßte die Lippen zusammen. Das Lächeln schwand aus seinem Gesicht. Scharf und kantig traten seine Backenknochen hervor. Er startete den Motor, fuhr langsam ab und schlug die Richtung nach Hoxton ein. Schon nach kurzer Zeit hielt er wieder an. Vor ihnen öffnete sich der Ivy Square. Zur Linken lag Carters Palmengarten, ein intimes Lokal für Heilige und Sünder,
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