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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah
Autoren: Georges Simenon
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nicht zu sagen, wer Sie sind?«
      Nein! Nicht der Mühe wert. Er zuckte lediglich die Achseln. Man hieß ihn in ein Taxi steigen, und er erkannte bald das Gerichtsgebäude, in dessen Hof das Taxi einbog. Das Nächste war eine nicht allzu dunkle Zelle mit einem Bett. Später, nachdem er wieder etwas geschlafen hatte, betatschte ihn ein kleiner spilleriger Graubart und stellte ihm eine Menge Fragen.
      Popinga antwortete nicht. Doch er wußte nicht, was davon zu halten war, bis draußen im Gang jemand laut rief:
      »Herr Professor Abram!… Professor Abram wird am Telefon verlangt…«
      Es war also der Erfinder des Paranoikers, der jetzt auf den Ruf antwortete und hinausging, wobei er sorgfältig die Tür verschloß.
      Was konnte es Popinga schon ausmachen, auf einer Sonderkrankenstation der Polizei zu sein oder irgendwo sonst? Ihn verlangte einzig und allein nach etwas Ruhe, denn er fühlte sich imstande, zwei, drei oder vielleicht vier Tage nacheinander zu schlafen, ganz gleich wo, ob auf einer Bank oder auf dem Boden.
    Da nun mal alles zu Ende war…
    Er besaß keine Uhr mehr, noch sonst etwas. Man hatte ihm warme Milch zu trinken gegeben. In der Erwartung, daß der Professor zurückkäme, legte er sich hin und darüber verging vielleicht eine ganze Zeit, denn er schlief, und als er geweckt wurde, war es nicht mehr Abram, sondern irgendein Typ in Zivil, der ihm Handschellen anlegte und ihn durch ein Labyrinth von Gängen und Treppen bis in einen Büroraum führte, wo es nach Pfeife roch.
    »Sie können uns allein lassen.«
      Ein Fenster mit Blick auf die Seine, die ganz gelb war. Ein ganz gewöhnlicher Mann, etwas füllig, etwas glatzköpfig, saß da und bedeutete Popinga, sich ebenfalls zu setzen.
      Und Popinga fügte sich, ließ sich anschauen und betasten, ohne den geringsten Unwillen zu zeigen.
      »Ja!…« brummte sein Gegenüber, ihn erst so, dann aus der Nähe betrachtend und dann ihm direkt in die Augen blickend. Und plötzlich sagte er: »Was haben Sie sich nur in den Kopf gesetzt, Monsieur Popinga?«
      Er reagierte nicht. Es war ihm gleich, ob er den berühmten Kommissar Lucas vor sich hatte oder nicht. Es berührte ihn auch nicht, als sich die Tür öffnete und eine Frau im Pepita-Mantel eintrat, plötzlich stutzte und mit zitternder Stimme sagte:
    »Genau, das ist er… Aber wie hat er sich verändert!«
    Wenn schon. Wer war jetzt wohl an der Reihe?
      Die anderen erledigten ihre Arbeit vor ihm und ohne sich stören zu lassen. Lucas setzte ein Protokoll auf, und Jeanne Rozier unterschrieb, wobei sie ängstlich zu Popinga hinsah.
      Und danach? Würden auch Louis, Goin und die anderen, Rose inbegriffen, vor ihm defilieren?
      Wenn man ihn nur schlafen lassen würde! Für die machte das doch keinen Unterschied, denn sie konnten kommen und ihn betrachten, ja, ihn nach Belieben betasten.
    Er blieb allein, dann kamen wieder Leute, dann ließ man ihn wieder allein, bis man ihn in seine Zelle zurückbrachte, wo er sich endlich ausstrecken konnte.
      Als wäre er so dumm, ihnen jetzt noch erklären zu wollen, daß er nicht verrückt sei!
    Wo doch die Partie zu Ende gespielt war…
      Hätte man nicht vielleicht vermeiden können, ihn zwei- oder dreimal am Tag über alle Korridore und Treppen des Gerichtsgebäudes zu schleppen, um ihn zu Kommissar Lucas zu führen, wo diverse Personen sich im Dunkel hielten und gefragt wurden:
    »Erkennen Sie ihn wieder?«
    »Nein… Das ist er nicht… Er war kleiner…«
    Und ihm selbst legte man seine Briefe vor.
    »Geben Sie zu, daß das Ihre Handschrift ist?«
    Und er sagte brummelnd:
    »Ich weiß nicht.«
    Auch hätte man ihm einen Anzug in seinen Maßen und
    ein Paar Schuhe kaufen können, denn er war immer noch ohne Schuhe! Und die Leute, die in einer komischen Dachkammer Fotos von ihm machten und seine Fingerabdrücke nahmen, hätten ihn auch nicht splitternackt in einer Art Vorzimmer warten zu lassen brauchen!
    Aber sonst…
      Popinga gewöhnte sich so gut ein, daß er auch nicht protestierte, als der Tag der Prüfung kam. Dennoch kam es überraschend. Man hatte ihn nicht informiert. Er war in ein kleines Zimmer geführt worden, in dem schon zwei oder drei offensichtlich Verrückte warteten. Von Zeit zu Zeit wurde einer abgeholt, etwa jede Viertelstunde, und ward nicht mehr gesehen. Schön der Reihe nach!
    Popinga blieb als letzter übrig. Endlich wurde auch er
    geholt und fand sich auf einem Podium vor einer schwarzen Tafel
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