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Der Mann, der den Zügen nachsah

Der Mann, der den Zügen nachsah

Titel: Der Mann, der den Zügen nachsah
Autoren: Georges Simenon
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Kleidungsstücken sichtbar.
      »… Ich möchte gern wissen… Ich hatte daran gedacht, für einen Kostümball, mich als Clochard zu verkleiden… Das wäre doch lustig, oder?«
      Ein Spiegel in einem Bambusrahmen warf Popingas Bild zurück; es war fahl und bleich, vielleicht vor Ermüdung.
      »Was kostet denn das, so ein altes Kostüm wie dies hier?«
      Es war ein Anzug, der noch mehr abgetragen war als die Sachen, die Mama in Groningen für einen armen Alten aufzuheben pflegte, der immer um Ostern vorbeikam.
      »Den laß ich Ihnen für fünfzig Francs… Sie sehen, er ist noch sehr gut. Das Futter ist erneuert worden…«
    Eine der großen Erfahrungen seines Lebens. Er hätte nie
    gedacht, daß ein gewöhnlicher alter Anzug so teuer sein konnte, und obendrein wollte sie ihm noch zwanzig Francs für ein Paar unförmiger Schuhe abverlangen.
      »Vielen Dank… Ich werde es mir überlegen… Ich komme wieder.«
    Sie kam ihm auf die Straße nach und rief:
      »Kommen Sie! Ich lasse Ihnen alles zusammen für sechzig Francs, weil Sie es sind… Und ich gebe Ihnen noch eine Mütze obendrein!…«
      Er machte den Rücken krumm und floh. Er hatte keine sechzig Francs mehr, nicht mal fünfzig. Wenn schon! Er würde das anders machen. Er hatte schon eine Idee, die ihm ein sarkastisches Lächeln entlockte, denn diesmal war eine Fügung des Schicksals schuld, daß die Ereignisse nun jede Vorstellungskraft übersteigen würden.
      Er würde bis ans Ende gehen. Bis ans Ende seiner Idee und aller Logik!
    »Schade um…«
      Er besann sich noch rechtzeitig. Er durfte auf der Straße nicht laut mit sich reden. Sich an dem Punkt, an dem er jetzt war, noch schnappen zu lassen, wäre pure Dummheit.
      Er ging weiter… Noch einmal betrat er eine Kirche, aber dort fand gerade eine Trauung statt, so daß er lieber wieder ging.
    »Sie können wohl nicht aufpassen, Sie Idiot?«
      Der Idiot war er, weil er sich um ein Haar von einem Auto hätte überfahren lassen! Er wandte sich nicht mal um!
    Ob es sich wirklich nicht gelohnt hätte, sich fangen zu
    lassen, einen Verteidiger abzulehnen, sich vor versammeltem Gericht feierlich zu erheben, mit ruhiger, würdevoller Miene ein Aktenstück aufzublättern und in salbungsvollem Ton zu beginnen: »Sie alle, meine Herren, haben geglaubt, daß…«
      Zu spät! Aber solche Rückfälle mußte er unbedingt vermeiden. Noch heute abend würde die Zeitung im Besitz seines Briefes sein, und das erste wäre, ihn Kommissar Lucas zur Kenntnis zu geben.
    Eine sonderbare Müdigkeit, fast als hätte er einen Kater!
    Und zugleich war er hellwach, ohne es wirklich zu sein. Er nahm die Passanten nur als Schatten wahr, stieß mit ihnen zusammen, stammelte Entschuldigungen und ging überstürzt davon. Aber er vergaß nichts von dem, was er sich vorgenommen hatte, fand mühelos seinen Weg zur Porte d’Italie, wo er sich über den Autobus nach Juvisy, die Abfahrtszeiten und den Fahrpreis informierte.
      Nachdem er seine Fahrkarte gelöst hatte, blieben ihm noch acht Francs fünfzig, und er fragte sich, ob er etwas essen oder trinken sollte, tat schließlich beides, aß zwei Hörnchen mit Kaffee, trank überstürzt ein Glas Cognac, und danach konnte keine Rede mehr davon sein, umzukehren oder gar ein weiteres Mal zu essen oder zu trinken.
      Kein Mensch ahnte etwas. Der Kellner bediente ihn wie einen normalen Kunden und irgend jemand bat ihn sogar um Feuer! Im Autobus, gegen fünf Uhr nachmittags, saß er zwischen Leuten, die nichts merkten.
      Noch vor einigen Tagen, als er noch Geld besaß, hätte er sich, wenn er gewollt hätte, mit einer Bombe in einen solchen Autobus setzen und das ganze Vehikel nebst seinem Inhalt in die Luft gehen lassen können! Er hätte auch einen Zug zum Entgleisen bringen können, was gar nicht so schwierig ist!
    Wenn er jetzt hier war, dann ganz aus eigenem Willen, weil er fand, daß es zu spät sei, und weil er eine noch bessere Lösung gefunden hatte.
      Alle würden aus der Haut fahren! Und Jeanne Rozier… Wer weiß? Er hatte immer gedacht, sie sei in ihn verliebt, ohne es zu wissen… Und danach würde sie es noch mehr sein, und Louis wäre für sie nur noch ein mieser Kerl.
      Wieder erkannte er die steil abfallende Straße, die ersten Häuser von Juvisy. Er stieg aus dem Bus aus und fühlte sich so weich in den Knien, daß er einen Augenblick stehenbleiben mußte, ehe er weiterging.
      Da war etwas, das ihn aus dem Konzept brachte. Er
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