Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London
Autoren: Georges Simenon
Vom Netzwerk:
Schaufensterbeleuchtungen und Straßenlaternen angezündet. Auch in der Stellwerkskabine oberhalb des Hafenbahnhofs war es hell geworden. Eine Viertelstunde lang mußte er gegen den Schlaf ankämpfen, aber das ging vorbei.
    Er landete schließlich in einer Ecke des Café Suisse, wo es wenigstens Grammophonmusik gab. In der anderen Ecke, direkt gegenüber, saß Camélia, schick angezogen und mit einem Fuchspelz über den Schultern. Er lächelte ihr zu. Sie gab ihm einen kleinen Wink, und er hätte ihr beinahe zu verstehen gegeben, daß sie hinauskommen solle. Auf die Art wäre wenigstens wieder eine Stunde vorbei gewesen. Aber er hatte nur etwa zwanzig Francs in der Tasche, und das hielt ihn letzten Endes davon ab.
    Wie sollte er herausbekommen, ob der Koffer Falschgeld enthielt oder nicht? Undenkbar, einen Schein zu nehmen und ihn bei der Bank vorzulegen. Wenn wenigstens die Zeitungen ergiebiger gewesen wären!
    Er blätterte in den gerade eingetroffenen Pariser Zeitungen herum und blieb eine ganze Zeitlang fast regungslos in seiner Ecke sitzen, schön im Warmen, mit der Musik um ihn herum. Am Nachbartisch wurde Domino gespielt. Die Schläfrigkeit überkam ihn wieder, aber es war nicht unangenehm.
    Die Tür ging auf. Sie war bestimmt schon zwanzigmal aufgegangen, ohne daß er sich darum gekümmert hatte. Doch diesmal blickte er abrupt hoch. Sein Clown war hereingekommen und setzte sich gerade eben an einen der Tische.
    Sie waren keine drei Meter voneinander entfernt. Der Engländer hatte ihn nicht gesehen.
    »Einen Cognac«, sagte er, als der Kellner zu ihm trat.
    Von einem Augenblick zum anderen konnte er den Kopf zur Seite wenden und Maloin erblicken. Aber er wurde durch Camélia daran gehindert, die sich unaufgefordert auf der anderen Seite neben ihn setzte und ihm die Hand hinstreckte.
    »Wo ist dein Freund?« fragte sie ohne Umschweife. »Er hat sich für vier Uhr mit mir verabredet, und jetzt ist es fast fünf.«
    Maloin hörte genau hin. Er hatte Angst vor dem, was kommen würde. Er hatte das Gefühl, die Sache könne gar nicht anders enden als mit einem Eklat.
    Statt einer Antwort hatte der Mann aus London sich von Camélia abgewandt, und sein Blick war auf Maloin gefallen. Ein kurzes erschrecktes Aufflackern war in seinen Augen zu sehen.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er jetzt. »Ich glaube, er ist nach Paris gefahren.«
    Er sprach mit leichtem Akzent. Er redete langsam, ohne seinen Blick von Maloin zu wenden. Camélia legte ihm die Hand auf den Arm, wie um ihn zu zwingen, sie anzuschauen.
    »Was sollte er denn in Paris zu tun haben?«
    Der Clown mußte sich nun von zwei Seiten bedrängt fühlen. Aber er blieb ruhig; er versuchte sogar ein Lächeln.
    »Woher soll ich das wissen? Teddy erzählt mir schließlich nicht alles.«
    Maloin machte eine neue Entdeckung: Der Mann hatte schlechte Zähne. Oder aber sie waren gelb von Nikotin.
    »Garçon!« rief er jetzt dem Kellner.
    »Bist du sicher, daß Teddy nicht mehr in Dieppe ist?«
    Man hätte glauben können, Camélia sei der Wahrheit auf der Spur. Sie hatte einen argwöhnischen Blick, und Maloin hätte sich nicht besonders wohlgefühlt, wenn dieser Blick ihm gegolten hätte.
    »Das macht fünf Francs fünfzig, mit dem Glas von Madame …«
    Der Mann zahlte, ohne zu Maloin hinüberzusehen. Dann ging er durch die andere Tür hinaus, um nicht an ihm vorbei zu müssen. Camélia, jetzt allein am Tisch, legte Puder auf und zog sich die Lippen nach.
    »Joseph«, wandte sie sich dann ebenfalls an den Kellner, »wenn jemand nach mir fragt, dann sag, daß ich nicht länger warten konnte. Er braucht heute abend ja nur ins Moulin-Rouge zu kommen.«
     
    Als der Mann im Regenmantel die Halle des Hôtel de Newhaven betrat, blickte die Besitzerin von ihrem Schreibtisch in der hinteren Ecke hoch und wandte sich zu dem Fensterchen, das die Verbindung zu dem hinteren Raum und der Küche darstellte.
    »Germain! Decken Sie für Monsieur Brown!«
    Und sie lächelte Monsieur Brown zu, der gerade seinen Mantel an der Garderobe aufhängte.
    »Haben Sie einen schönen Spaziergang gemacht? Besonders warm sind Sie nicht angezogen für die Jahreszeit, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf. Hier in Dieppe ist es windig und feucht.«
    Der Gast nickte zustimmend und lächelte ebenfalls. Wenigstens setzte er etwas auf, das wie ein Lächeln aussehen sollte und wandte sich zur Bar.
    »Germain!« zitierte die Besitzerin den Kellner herbei. »Monsieur Brown erwartet Sie in der Bar.«
    Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher