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Der Mann aus London

Der Mann aus London

Titel: Der Mann aus London
Autoren: Georges Simenon
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mitgebracht, der fünfhundertvierzigtausend Francs enthielt, und er hatte seinen Komplizen umgebracht, um nicht mit ihm teilen zu müssen.
    Was nun den Toten betraf … Maloin hatte nicht die geringste Vorstellung, was dieser Mann gewesen sein konnte. Er hatte ihn nur im Dunkeln gesehen. Er wußte, daß er etwas Graues angehabt hatte und ein wenig breiter als der andere gewesen war. Aber das war auch schon alles!
    Maloin kam am Hôtel de Newhaven vorbei, dem einzigen am Strand, das durchgehend geöffnet blieb, denn es hatte seine festen Stammgäste, fast alles Handelsvertreter. Der Clown war mittlerweile hinter dem Spielkasino verschwunden, und Maloin legte keinen Wert darauf, ihn wiederzusehen.
    »Ich habe fünfhundertvierzigtausend Francs«, redete er sich selbst gut zu, um damit sein Unbehagen zu zerstreuen.
    Er war jetzt etwa hundert Meter von der Metzgerei entfernt, in der seine Tochter als Haushaltshilfe arbeitete. Er sah sie nicht, als er vorbeikam. Offenbar war sie in der Küche. Madame Laîné jedoch, die Chefin, saß an der Kasse und nickte ihm zu.
    »Wenn du wüßtest«, brummte er vor sich hin. »Ich hab mehr Geld als du!«
    Unbegreiflich, daß seine schlechte Laune sich trotzdem hielt. Er betrat das Café Suisse in der Hoffnung, ein oder zwei Aperitifs würden ihm den nötigen Auftrieb geben. Es war jetzt beinahe zwölf. Die Reisenden für das Ein-Uhr-Schiff fanden sich allmählich ein, und das ganze Manöver der Nacht wiederholte sich dann. Nachdem Maloin zwei Gläser getrunken hatte, empfand er das Bedürfnis, zu seiner Glaskabine zu gehen. Er schnaufte, als er oben ankam.
    »Was machst du denn hier?« wunderte sich sein Kollege.
    Maloin beobachtete den anderen mißtrauisch. Er merkte genau, daß sein Verhalten dumm war. Aber etwas in ihm war einfach stärker.
    »Fall ich dir auf die Nerven?« fragte er.
    »Warum solltest du?«
    »Könnte man aber meinen!«
    Es läutete. Der Kollege gab Gleis drei frei; Maloin schaute indessen zu seinem Schrank hinüber. Er hätte etwas sagen wollen, um den unangenehmen Eindruck zu verwischen, den er bestimmt auf den anderen gemacht hatte. Aber es fiel ihm nichts ein. Und außerdem sollte es nicht so aussehen, als ob er den ersten Schritt machte. Sein Kollege hätte ja auch was sagen können.
    Maloin wartete zwei Minuten, drei Minuten. Er stand einfach da und tat so, als ob er einen einlaufenden Fischkutter beobachte. Schließlich seufzte er auf und verließ ohne ein weiteres Wort die Kabine.
    »Dann eben nicht …« knurrte er, als er die eiserne Leiter wieder hinunterstieg.
    Die Tür zum Moulin-Rouge stand offen. Zwei Frauen waren dabei, den Boden aufzuwischen und der Inhaber, ein ehemaliger Barkeeper aus Paris, rieb die Spiegelflächen der Bar blank.
    Maloin ging nach Hause. Er kaufte unterwegs eine Zeitung und setzte sich damit vor den gedeckten Tisch.
    »Was gibt’s Neues?« fragte seine Frau.
    »Nichts.«
    Es hätte ja etwas in der Zeitung stehen können, eine kurze Notiz über den Koffer, über einen in England begangenen Diebstahl oder irgendwelches Falschgeld.
    Bei dem Gedanken an Falschgeld gruben sich ihm zwei tiefe Falten in die Stirn. Und wenn in dem Koffer nun Falschgeld war?
    Ein Einbrecher war der Clown nicht, dafür hatte er einfach nicht die entsprechende Visage. Wahrscheinlich noch nicht mal ein mieser kleiner Gauner. Aber einer, der irgendwo im Keller sitzt und Falschgeld herstellt? In minutiöser Kleinarbeit mit Tinten und Säuren herumhantiert?
    »Was hast du?« fragte seine Frau.
    Was er hatte? Er war wütend! Besser gesagt, er hatte Angst vor der Wut, die ihn befallen würde, wenn das alles Falschgeld war.
    »Ißt du nichts mehr?«
    »Nein!«
    Sie sollte es sich bloß nicht einfallen lassen, ihn mit ihren dämlichen Fragen zu traktieren. Er konnte einfach nicht länger ruhig sitzenbleiben. Aber als er stand, wollte er laufen und wußte nicht, wohin er noch konnte.
    Wenn sie doch wenigstens die Leiche finden würden! Aber es wurde bald dunkel, und dann war alles vertagt. Wer weiß, womöglich war der Ertrunkene auch an einem der alten Taue hängengeblieben, die auf dem Grund des Hafenbeckens herumlagen. In diesem Fall brauchte er sich keine Illusionen zu machen: Vielleicht wurde der Tote in einem Monat herausgefischt, vielleicht auch gar nicht!
    »Warum ist Ernest nicht da?«
    »Aber du weißt doch … Heute ist der Tag, an dem er immer bei der Tante ißt.«
    Maloin ging wieder in die Stadt zurück. Es war erst halb vier, aber schon wurden
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